Bettina Hirsch: Worum geht es in dem Film MARINA ABRAMOVIC: THE ARTIST IS PRESENT?
Marina Abramovic: Der Film ist eigentlich das Porträt einer Künstlerin, aber es geht auch um mehr: Der Film zeigt, was es eigentlich bedeutet Performance Kunst zu machen. Ich habe Regisseur Matthew Akers die komplette Kontrolle über mein Leben gegeben. Ich gab ihm für ein Jahr den Schlüssel zu meinem Apartment. Ich hatte für ein Jahr ständig ein Mikrofon dabei, was sehr verletzlich macht. Ich hatte keine Privatsphäre mehr. Er kam manchmal mit der Crew am frühen morgen vorbei, mit der Kamera auf mein Gesicht, wartete das ich aufwachte. Ich will damit sagen, dass im Film absolut nichts gestellt ist. Alles ist echt! Darum hat der Film auch den Wert eines wahren Porträts.
B. Hirsch: Wie stark war Ihr persönlicher Einfluss auf den Film? Konnten Sie sagen 'Das nicht!?'
M. Abramovic: Es gibt Teile, wo ich hässlich aussehe und Teile, wo ich gut aussehe. Szenen, wo ich sage: „Mein Gott!“. Es gibt auch Szenen in denen ich krank bin, ins Bad gehe und mich übergebe. Ich habe nie Nein gesagt! Ich glaube, das war sehr, sehr wichtig! Einer der Gründe warum ich bei dem Film mitmache ist, dass Publikum soll verstehen, was es bedeutet ein Performance Künstler zu sein! Wie man sich auf ein Stück vorbereitet, wie die drei Monate beim MOMA! Performance Künstler werden immer als eine Alternativform von Kunst gesehen. Es ist kein Mainstream, wie Fotografie, Video. Am Anfang hat man Fotografie auch nicht als Kunstform gesehen. Das hat sehr lange gedauert und jetzt sind Fotografie und Video eine gleichberechtigte Kunstform zu Malerei, Bildhauerei. Performance ist aber immer eine Art Außenseiter. Ich bekomme ganz oft Einladungen z.B. von Museen oder Kunstvereinen, sie fragen dann: „Wir haben eine Eröffnung. Können Sie vorbeikommen und ein bisschen Performance machen?“ Das heißt, Performance ist so etwas wie Unterhaltung. Man macht irgendetwas in einer Ecke, die Leute haben was zu trinken und schauen nicht mal, was Du machst. Performance ist aber eine ernsthafte Sache! So läuft es nicht ab. Darum ist dieser Film auch so wichtig! Es geht nicht darum, mich oder meine Arbeit zu verherrlichen! Es geht darum ein größeres Publikum zu erreichen. Menschen, die noch nie in einem Museum waren, die noch nie eine Performance gesehen haben und nicht wissen, was Performance überhaupt ist! Die Performance nicht einmal als Kunstform betrachten, das Performance eigentlich sehr ausdrucksstark ist und wenn die Performance gut ist, kann es eine außergewöhnliche Erfahrung sein.
B: Hirsch: Wie fühlt es sich an, wenn andere Künstler Ihre Stücke darstellen?
M. Abramovic: Ich habe mich aus vielen verschiedenen Gründen dazu entschlossen. Performance ist eine zeitabhängige Kunst. Man muss da sein um sie zu sehen, ansonsten ist sie nur Teil eines Buches oder ein sehr schlechtes Video. Ich wollte live aufführen. Bevor ich diese Live Stücke gemacht habe, habe ich mich erst einmal entschlossen, Stücke anderer Künstler noch einmal darzustellen. 2005 habe ich im Guggenheim das Stück „7 easy pieces“ vorgeführt. Ich habe Stücke von Joseph Beuys, Valie Export, Gina Pane und anderen nachgespielt. Es ging darum, den Leuten zu zeigen, dass man eigentlich Stücke nachspielen kann! Bis heute wird Performance von jedem „gestohlen“ und das stört mich sehr. MTV macht es, das Fernsehen, Fashion, Designer, Werbung, Theater und Film. Sie alle bedienen sich bei Performance, nehmen sich was sie brauchen und recyceln sie vielfältig. Sie zollen dem Künstler nie Anerkennung, nicht nur mir, auch vielen anderen Künstlern. Es reicht mir! Wenn man schon von jemandem stiehlt und nachstellt, soll man es wenigstens richtig machen. Man soll den Künstler um Erlaubnis fragen, wenn er noch lebt oder die Stiftung, falls er schon verstorben ist. Bezahlt für die Rechte und macht dann Eure eigene Version daraus! Ich bin der Meinung, dass auch die neue Version, mit dem Charisma des neuen Künstlers oder mit seiner Neuinterpretation, ist immer noch besser als irgendein Abbild. Performance ist eine lebendige Kunst. Sie sollte live dargestellt werden, und wenn man schon etwas nachmacht, soll man es auch als lebendige Kunstform sehen. Ich habe deshalb die Erlaubnis gegeben, Stücke neu darzustellen, solange man nicht körperliche Schmerzen erleidet oder sich in Gefahr begibt.
B. Hirsch: In dem Film kommen kaum berühmte Leute vor, außer Ihnen.
M. Abramovic: und James Franco.
B. Hirsch: Am Ende des Films gehen Sie auf eine Vernissage und Alan Rickman spricht mit Ihnen. In einem Artikel habe ich über Ihre Performance gelesen, dass auch Isabella Rossellini und andere Schauspieler da waren.
M. Abramovic: Ja.
B. Hirsch: Lou Reed und andere saßen Ihnen gegenüber am Tisch.
M. Abramovic: Sharon Stone …
B. Hirsch: Lady Gaga, alle waren da.
M. Abramovic: Ja, aber …
B. Hirsch: … aber sie tauchen nicht im Film auf. War das Ihre Entscheidung?
M. Abramovic: Nein. Ich glaube, es ging auch darum, die Zuschauer nicht in die Irre zu führen. HBO hat den Film produziert und Amerika hat Berühmtheiten so satt. Alles dreht sich um Star. Ich weiß jetzt nicht, wer es war, der Regisseur hat entschieden, dass es nicht so wichtig ist. Es ist viel wichtiger das normale Publikum und die Reaktion der Menschen zu zeigen. Es soll keine Spannung durch Stars entstehen, weil der Film nicht etwas vortäuschen will. Am Ende gibt es die Party, aber das ist etwas anderes.
B. Hirsch: Ja.
M. Abramovic: Ich sitze für drei Monate vor 1750 Menschen. Ich sitze 736 Stunden da und okay, es gab ein paar Stars, die vorbei kamen, aber wir wollten mehr die Reaktion des normalen Publikums zeigen.
B. Hirsch: Okay.
M. Abramovic: Ich erinnere mich daran, wie Sharon Stone vor mir stand, sich dann hinsetzte und ich dachte …
B. Hirsch: Haben Sie Sharon Stone gleich erkannt?
M. Abramovic: Nein. Ich schaute sie an und dachte, sie sieht aus wie Sharon Stone, aber das kann sie nicht sein! (lacht) Und am Ende haben wir dann gesagt: „Oh! Das war tatsächlich Sharon Stone!“ Es kamen noch andere interessante Personen wie Christiane Amanpour!
B. Hirsch: Aber der Erste war Ulay?
M. Abramovic: Ja.
B. Hirsch: Wussten Sie das?
M. Abramovic: Er war Ehrengast. Ich hatte ihn als Ehrengast eingeladen. Er ist auch heute hier zur Premiere. Ich bin darüber sehr, sehr glücklich. Ihm geht es nicht so gut. Ich mache mir große Sorgen um ihn. Wir haben gestern alle Interviews zusammen gegeben. Für mich war es sehr emotional. Ich hatte sehr strenge Regeln. Man durfte nicht den Tisch anfassen. Man durfte nichts machen, außer mich anschauen. Ich habe die Hälfte meines Lebens mit Ulay verbracht, darum war es so emotionell.
B. Hirsch: Wussten Sie, dass er die Show beginnen würde?
M. Abramovic: Nein.
B. Hirsch: Sie schauten auf und da war er?!
M. Abramovic: Ja. Ich wusste ja, dass er da war. Ich wusste aber nicht, dass er sich mir gegenüber hinsetzten würde. Ich dachte mir, er kommt zur Eröffnung, aber dann war es ein echter Schock als er sich hinsetzte. Apropos den Film kann ich mir nicht anschauen, ohne das ich weine. Ich kann einfach nicht objektiv sein. Der Film geht mir sehr nahe. Während der Premiere werde ich draußen sitzen. Es ist einfach zu schwierig. Vielleicht werde ich ihn eines Tages anschauen, wenn ich älter bin. Es ist sehr emotionell. Er geht mir wirklich sehr, sehr nahe.