Stefanos Tsarouchas: Können Sie sich bitte kurz vorstellen, wer Sie sind und was Sie machen?

Adrian Sieber: Mein Name ist Adrian Sieber. Ich bin Komponist und schreibe hauptsächlich Musik für Theater und Film.

S. Tsarouchas: Wie sind Sie zum Projekt LOST PLACE gekommen?

Adrian Sieber: Ich arbeite mit der Produktionsfirma Movie-Brats schon seit Studienzeiten zusammen. Über diese Produktionsfirma wurde ich dem Regisseur Thorsten Klein vorgestellt. Dann haben wir darüber gesprochen, was für eine Musik man für LOST PLACE schreiben könnte und wie man das machen könnte. Wir waren uns dann sehr schnell einig und haben zusammen das Projekt gestartet.

S. Tsarouchas: Wissen Sie, ob der Regisseur Thorsten Klein schon einen eigenen Komponisten in petto hatte? Oder hatte er überhaupt keine Idee, was die Musik angeht?

A. Sieber: Er hatte natürlich schon Ideen, was die Musik angeht. Er hatte aber noch keinen anderen Komponisten, die Produktionsfirma hat mich ihm dann vorgeschlagen und vorgestellt.

S. Tsarouchas: Welche Vorstellungen hatte er von dem musikalischen Stil? Für mich klingt die Musik manchmal wie von Marco Beltrami oder die ALIEN-Musik.

A. Sieber: Thorsten Klein hatte ganz klar eine Vorstellung, dass es sinfonische Filmmusik sein sollte und dass es mit Orchester eingespielte und keine elektronisch produzierte Musik sein sollte. Und dass es relativ "große" Filmmusik sein sollte, wie sie im amerikanischen Kino verwendet wird. Das waren seine Vorstellungen, die sich mit meinen natürlich auch getroffen haben.

S. Tsarouchas: Wann wurden Sie angesprochen wegen der Musik, als der Film fertig war oder schon im Vorfeld?

A. Sieber: Ich wurde im Vorfeld, etwa bei Drehbeginn, wegen der Musik angesprochen. Dann gab es Gespräche mit dem Regisseur, was wir wollen, was man für verschiedene Themen braucht usw. Im Allgemeinen ist es immer so, dass die eigentliche Arbeit erst dann beginnt, wenn der Schnitt fertiggestellt ist und die Musik dazu entwickelt werden kann. Ich würde sagen, im Juni vor einem Jahr war der Schnitt fertig.

S. Tsarouchas: Welche Sachen standen schon fest? Denn es gibt z. B. extra komponierte Klingeltöne von den Handys, die aber nicht von Ihnen komponiert wurden.

A. Sieber: Genau. Die standen aber nicht fest. Als ich komponiert habe, waren erst mal andere Klingeltöne im Film. Die wurden später erneuert. Von der Musik stand noch gar nichts fest, außer einem Stück von Sido, das gleich am Anfang kommt und das auch beim Dreh verwendet wurde.

S. Tsarouchas: Wie kommuniziert der Regisseur dann mit Ihnen? Wenn Sie den Film sichten? Oder wurde praktisch alles Ihnen überlassen und gesagt: „Machen Sie erst einmal ein Layout mit Ihren Vorstellungen und danach sprechen wir konkret über die Stellen“?

A. Sieber: Im Allgemeinen ist es so, dass man sich zusammen Musik anhört, sowohl von mir komponierte Musik als auch Musik von anderen Komponisten. Gleichzeitig versucht man natürlich, eine gemeinsame Kommunikationssprache zu finden. Das ist oft gar nicht so einfach, da ein Regisseur natürlich kein Komponist ist und daher den Fachjargon nicht beherrscht. Für mich ist es immer interessant herauszuhören, was der Regisseur eigentlich im musikalischen Sinne meint und was er genau möchte. Dann hört man einige Sachen durch und überlegt, was einem gefallen könnte. Natürlich sind im Film auch immer schon ein paar Szenen auf Musik anderer Komponisten geschnitten, welche für mich teilweise als Vorlage dienen. Danach hat man relativ freie Hand für die Layouts und entwickelt seine eigenen Sachen. Am Anfang gibt es dann meistens sehr viel Diskussionsbedarf darüber, ob man dieses oder jenes noch ändert und was noch nicht ganz passt. Aber je weiter der Film ist und je mehr sich auch die Themen etabliert haben, desto weniger Diskussionsstoff gibt es.

S. Tsarouchas: Mit welcher Szene haben Sie angefangen?

A. Sieber: Das kann man nicht ganz genau sagen. Ich habe gleichzeitig von vorne und mit drei Schlüsselszenen im Springen angefangen. Das bedeutet, ich habe mit einer Liebesszene angefangen und gleichzeitig mit der Kamerafahrt über die Wohnwagenstadt und mit der Suche nach Jessie. Also ungefähr eine Szene bei zwölf Minuten, eine Szene bei 20 Minuten und eine Szene bei etwa 35 Minuten.

S. Tsarouchas: Wie komponieren Sie Musik? Sie haben den Auftrag bekommen. Sie haben das Drehbuch gelesen und den Film schon gesehen. Wie läuft das bei Ihnen ab, das Komponieren?

A. Sieber: Zunächst einmal versucht man, Themen zu finden. Ich meine mit Thema jetzt nicht zwingend eine Melodie. Ein Thema kann auch beispielsweise eine Stimmung sein, ein eigener Klang, ein rhythmisches Pattern oder was auch immer. So versucht man, eine Grundstimmung für den Film zu finden und die Grundthemen für einzelne Charaktere bzw. für einzelne Situationen zu etablieren.  Wenn ich das habe, fange ich an, mein Material weiter zu entwickeln. Es also auszuorchestrieren und zu schauen, wie ich mit den einzelnen Themen umgehen kann, in welche Richtung ich sie lenken kann. Dann geht es schon relativ bald los, das Material synchron zum Film anzulegen und genau auszuarbeiten. So entwickelt sich der Film einfach von Minute zu Minute weiter.

S. Tsarouchas: Schreiben Sie noch echte Noten oder machen Sie alles am Rechner?

A. Sieber: Filmmusik schreibe ich komplett am Rechner, weil dann die Synchronität zu dem Film immer gewährleistet ist. Eigentlich schreibe ich aber lieber Noten mit der Hand. Auch wenn ich ein Thema schreibe, dass noch nicht auf den Schnitt bezogen ist, schreibe ich das gerne ohne Computer am Schreibtisch.

S. Tsarouchas: Der Film wurde in Dolby Atmos abgemischt. Muss man als Komponist das auch im Kopf haben? Dass vielleicht auch mit der Musik, mit den Instrumenten gespielt wird?

A. Sieber: Wir hatten es insofern im Kopf, als dass wir bei der Mischung einzelne Instrumente oder Passagen so abmischt haben, dass sie im Atmos auch speziell platziert werden konnten. Aber bei der Komposition selbst spielte es eigentlich keine Rolle.

S. Tsarouchas: Gibt es bei der Abmischung für Atmos eine bestimmte Regel, was die Instrumente angeht - oder geht man dann eher mit der Szene mit?

A. Sieber: Ich glaube, es gibt erst zwei oder drei Filme, die überhaupt in Atmos gemischt wurden. Deswegen war das ein komplettes Neuland. Auch dass Musik überhaupt in 7.1 gemischt wird, ist eigentlich eher selten. Normalerweise wird sie immer in 5.1 gemischt. Nein, da haben wir unserer Fantasie relativ freien Lauf gelassen und die Musik so gemischt, wie wir uns vorstellen konnten, dass es im Atmos-System toll wirken könnte, also wann ein Klang z. B. genau platziert von oben kommt.

S. Tsarouchas: Wie war die Abgrenzung zwischen Ihrer Musik und dem Sounddesign? Kommen z. B. die Herzschläge von Elli von der Musik oder vom Sounddesign?

A. Sieber: Die Herzschläge? Das ist eine gute Frage. Es gibt Herzschläge, die im Orchester mit Tamtam und großer Trommel erzeugt wurden und es gibt Herzschläge, die vom Sounddesign erzeugt wurden und teilweise auch Sequenzen, in denen sie vermischt wurden. Abgesehen von ein paar Synthie-Bässen, die wir aus ästhetischen Gründen zu den eigentlichen Orchesterbässen getan haben, kann man sagen, dass alles, was elektronisch klingt, Sounddesign ist. Und alles, was natürlicher klingt, Orchester und dementsprechende komponierte Musik ist. Aber natürlich gibt es auch Klänge, wie z. B. mit Bogen gestrichene Becken, die wie elektronisch erzeugte Sounds klingen, obwohl sie rein akustisch sind.

S. Tsarouchas: Und warum gab es keine klare Trennung? Man hätte ja sagen können, Herzschläge kommen vom Sounddesigner und wir passen dann bei der Abmischung mit der Musik alles an?

A. Sieber: Musik funktioniert ja auch mit Rhythmus und dann ist es gerade auf einen Herzschlag bezogen relativ logisch, wenn man beim Schreiben so eine rhythmische Komponente in einer dafür prädestinierten Szene in die Musik einbezieht. Ich weiß auch nicht, ob man diese Trennung machen muss. Denn viel wesentlicher ist wahrscheinlich, dass man versucht, sich gegenseitig nicht im Weg zu stehen. Es ist sehr wichtig, dem Sounddesign genug Platz zu lassen, so dass es das machen kann, was für die Szene wesentlich ist. Aber genau so kann das Sounddesign auch der Musik ihren Platz lassen. Und wenn die Musik die Herzschläge produziert, dann ist das auch in Ordnung. 

S. Tsarouchas: Ich finde, das LOST PLACE einer der wenigen deutschen Filme war, die ein sehr gutes Sounddesign hatten und wo die Musik auch sehr gut zum Film passte. In der gleichen Woche gab es noch Pressevorführungen von GROSSSTADTKLEIN und FEUCHTGEBIETE. Alle drei Filme hatten erstklassiges Sounddesign. Ich fand aber Ihre Musik mit am besten, weil sie nicht so typisch für einen deutschen Film war.

A. Sieber: Das liegt natürlich auch daran, dass heutzutage nur wenige Produktionsfirmen Filmmusik mit Orchester einspielen lassen. Man versucht, die Musik oft recht günstig zu halten und eben auch günstig zu produzieren. Ein komplettes Sinfonieorchester zu engagieren, das wird inzwischen nicht mehr so häufig gemacht. Wobei ich bei den beiden Filmen nicht weiß, wie die Musik gemacht wurde. Ich habe sie nicht gesehen.

S. Tsarouchas: Ich glaube, dass eine war in Ungarn und das andere war, glaube ich, auch in Prag.

A. Sieber: Also auch mit Orchester.

S. Tsarouchas: Ja. Darum jetzt meine Frage nach dem Orchester. Warum wurde gerade in Prag aufgenommen? Warum wurde nicht ein Orchester hier in Deutschland gesucht?

A. Sieber: Das hat verschiedene Gründe, abgesehen von den Kostengründen, Prag ist insgesamt relativ günstig. Das City of Prague Orchester ist ein Orchester, das viele Filme eingespielt hat und sehr routiniert ist. Die Voraussetzungen für eine gute Aufnahme sind alle gegeben. Das Studio ist sehr gut. Es herrscht insgesamt eine angenehme Atmosphäre und ich arbeite unglaublich gern mit dem Dirigenten Richard Hein zusammen, der die Prager manchmal leitet und den wir bei LOST PLACE engagieren konnten - und Prag ist eine schöne Stadt.

S. Tsarouchas: Für den Film haben Sie die Musik selbst orchestriert. Warum haben Sie das nicht einem Anderen überlassen?

A. Sieber: Ich bin Komponist und Orchestrieren ist ein großer Teil des Komponierens. Wenn ich eine Melodie mache, habe ich als Komponist 1000 verschiedene Möglichkeiten, diese Melodie zu gestalten. Wenn ich das jemand anderem überlassen würde, dann wüsste ich nicht, wer jetzt mehr der Komponist wäre: der, der sie orchestriert hat oder ich, dem die Melodie und die Akkorde eingefallen sind.

S. Tsarouchas: Warum dirigieren Sie nicht selbst?

A. Sieber: Das war bei LOST PLACE einfach eine Frage des Stresses. Die Musik wurde letztlich relativ knapp fertig, auch die Notenmaterialerstellung hat noch recht lange gedauert. Ich war bei der Aufnahme dann natürlich auch in einer Art Tonmeisterrolle - dass man hört, ob alles auch richtig aufgenommen wird, wo es noch Fehler gibt usw. Wenn ich auch noch dirigiert hätte, hätte wiederum dieser Job von jemand anderem besetzt werden müssen. Und ich halte Richard Hein für den besseren Dirigenten, der auch das Orchester sehr gut kennt und mit dem Orchester Tschechisch sprechen kann. Wenn es relativ schnell gehen muss, was bei den Filmmusikaufnahmen meist der Fall ist, hat er das Orchester einfach besser in der Hand als das bei mir wahrscheinlich der Fall gewesen wäre.

S. Tsarouchas: Sie haben eben den Stress angesprochen. Wie viel Zeit hatten Sie, um die Musik zu komponieren?

A. Sieber: Das kann man eigentlich nicht so genau sagen. Die Arbeit ging über den ganzen Sommer. Ich würde sagen, es waren viereinhalb Monate, aber inklusive der Notenmaterialerstellung, die natürlich auch einige Zeit kostet.

S. Tsarouchas: Der Film hat so eine Art amerikanischen Anspruch. Ein "Teenie-Horrorfilm" sage ich mal vorsichtig. Wie viel Musik gibt es in dem Film inklusive Ihrer? Man hört sehr oft Musik in dem Film, wenn auch leise wie in der Bar - oder seltener aus dem Handy. Und es gibt wenig Stellen, an denen es keine Musik gibt.

A. Sieber: Von mir selbst sind es, glaube ich, 65 bis 70 Minuten Musik. Der Film hat, denke ich, 100 Minuten. Wie viel andere Musik genau im Film vorkommt, weiß ich nicht. Aber das können bestimmt auch 10 bis 15 Minuten sein.

S. Tsarouchas: Gab es Diskussionen mit dem Regisseur wie z. B. dass Sie gesagt haben, diese Szene braucht keine Musik oder genau das Gegenteil, dass der Regisseur darauf bestand, dass da Musik unbedingt hin muss?

A. Sieber: Beides. In beide Richtungen.

S. Tsarouchas: Können Sie Beispiele nennen, wenn Sie wollen/mögen?

A. Sieber: Es gibt ein Beispiel, relativ am Ende des Films oder nach ca. zwei Dritteln, wenn der Hauptdarsteller zum ersten Mal dieses Gebäude betritt. Der Regisseur wollte, dass sobald das Tor aufgeht und lauter Lichter angehen, die Musik auch anfangen sollte. Als ich das gesehen habe, habe ich gesagt, dass wir die erste Minute oder die ersten eineinhalb Minuten auf keinen Fall Musik machen sollten, und diese besser erst bei einer bestimmten Aktion einsetzen würde. Da war sich erst einmal nicht sicher, aber als er es dann gesehen hat und mit dem Sounddesign zusammen gehört hat, fand er es auch auf jedem Fall richtig. Aber es gab auch Stellen, an denen ich gerne noch ein bisschen weiter geschrieben hätte, aber die Musik früher rausgenommen wurde.

S. Tsarouchas: Und ein Beispiel dafür, wenn Sie mögen?

A. Sieber: Da muss ich kurz überlegen. Nein, kann ich jetzt nicht direkt sagen. Da ging es meistens um ein paar Sekunden.

S. Tsarouchas: Ein bisschen weiter in dem Film ist es so, dass die Lichter ausgehen und Elli und die Hauptfigur in diesen Kontrollraum gehen. Dieses Geräusch von den Lichtern, wie sie ausgehen, war das Musik oder war das Sounddesign?

A. Sieber: Die Lichter, die alle nacheinander ausgehen?

S. Tsarouchas: Genau. Das ist wieder eine Stelle, wo ich nicht wusste: Musik oder Sounddesign.

A. Sieber: Das ist Sounddesign. Ich hatte aber immer das Timing vom Sounddesign. Ich wusste genau, wann diese Lichter ausgehen. Obwohl die Szene noch mit Greenscreen war und man die Lichter gar nicht gesehen hat. Aber ich wusste, wann die ausgehen und konnte meine Musik genau auf das Sounddesign, also auf das Tempo der Schläge des Lichterausgehens, anpassen.

S. Tsarouchas: Wie oft kommt es vor, dass so eine Zusammenarbeit zwischen Sounddesign und Musik so wie bei diesem Fall auch in anderen Projekten zustande kommt? Mein persönlicher Eindruck ist, dass das nicht oft passiert.

A. Sieber: Es ist ganz verschieden. Bei dem Film war es ein Wunsch der Produktionsfirma, ein Wunsch des Sounddesigners und ein Wunsch von mir, dass man versucht, möglichst eng zusammen zu arbeiten. Das Sounddesign ist für diesen Film sehr wesentlich, da es ja die Gefahr des Turmes und der elektromagnetischen Wellen darstellen soll. Deswegen haben wir gut zusammen gearbeitet, ich habe oft angerufen und gefragt, wie sieht es denn damit aus, wer macht das? Macht das die Musik oder das Sounddesign? Und anders herum war es genauso.

S. Tsarouchas: In dem Film gibt es eine Stelle, wo sich die Musik ein bisschen ändert. Das war modern, fast ein bisschen „club-mäßig“. Als sie diese Haschkekse zum ersten Mal sehen und sich überlegen, ob sie reinbeißen sollen … War das auch der Wunsch des Regisseurs, da eine etwas andere Musik zu nehmen? Man hätte ja auch gar nichts nehmen können. Aber sie sprachen da gerade von Club und Party und dann begann passend dazu die Musik.

A. Sieber: Diese Musik ist ja nicht von mir. Ich glaube, das ist auch ein hinzugefügter Song. Das war natürlich die Idee des Regisseurs. Es ist ja relativ am Anfang. Da haben wir auch Sido drin auf der Fahrt und noch zwei, drei andere Songs. Die Idee war, am Anfang eher Songs zu platzieren und erst später wirklich in die sinfonische Filmmusik über zu gehen.

S. Tsaoruchas: Sie machen noch andere Sachen. Sie sind auch musikalischer Leiter beim Theater und haben eine Oper komponiert, vielleicht auch mehr. Das stand jedenfalls im Wikipedia-Eintrag. Was ist für Sie der Schwerpunkt? Eher Filmmusik oder die anderen Sachen?

A. Sieber: Das kann man nicht so genau sagen. In den letzten zwei Jahren habe ich hauptsächlich am Theater gearbeitet als Komponist und als musikalischer Leiter. Eine Arbeit, die mir sehr viel Spaß macht - ich habe dabei auch viel selbst auf der Bühne gespielt. Aber das Schreiben von Filmmusik ist auch sehr schön. Es ist auch immer so: wenn ich gerade wieder einen Spielfilm hinter mir habe, freue ich mich auf das nächste Theaterprojekt, das ich habe. Wenn ich ein, zwei Theaterprojekte hatte, freue ich mich wieder auf den nächsten Film oder wieder darauf, ein Stück zeitgenössischer Musik zu komponieren. Also ich bin mit der Mischung, die ich habe, sehr zufrieden.

S. Tsarouchas: Apropos Mischung, wenn jemand Filmkomponist oder Filmkomponistin werden will, was ist für die Ausbildung am wichtigsten? Sie haben ja Jazz- und klassische Gitarre studiert. Was ist wichtig, wenn man diesen Beruf ergreifen möchte?

A. Sieber: Also, ich habe, und das ist für mich das eigentlich Wichtige, Komposition im klassischen Sinne studiert. Gerade, wenn es um Dinge geht wie sinfonische Filmmusik zu schreiben, das Notenmaterial herzustellen und die Sachen so zu orchestrieren, dass sie im Orchester auch gut klingen, dann ist ein normales Kompositionsstudium wahrscheinlich das Sinnvollste, was man machen kann. Es gibt natürlich auch die Filmkompositionsstudiengänge in Ludwigsburg und in Potsdam, soweit ich weiß. Die bereiten die Studenten sehr gut auf den Beruf und auf den Markt vor und sind mehr in Richtung Filmmusik zugeschnitten. Für mich persönlich waren aber das Kompositionsstudium und auch das Schreiben von zeitgenössischer Musik und die Auseinandersetzung mit Sinfonik und Oper von sehr großer Bedeutung und ich möchte das auf keinen Fall missen. Aber natürlich ist der Sprung in die Berufswelt, gerade in die Filmmusik, von dieser Richtung aus etwas schwieriger.

S. Tsarouchas: Was sind Ihre musikalischen Vorbilder?

A. Sieber: Von Vorbildern kann man nicht wirklich sprechen, weil ich nicht versuche, eine bestimmte Stilistik zu imitieren. Aber Bruckner und Mahler sind schon sehr wesentlich.

S. Tsarouchas: Sie haben vorhin gesagt, Sie hätten jetzt gerade die Musik zu einem Spielfilm fertig gestellt. Können Sie dazu etwas sagen, und wie der Film heißt?

A. Sieber: Der Film ist ein chinesischer Spielfilm und heißt STORIES FORLORN. Das ist ein jugendliches Drogendrama. Die Musik ist eigentlich eher eine rein elektronische, in Richtung Clubmusik. Also in der Art 90er-Jahre-Club, Drum- und Bassmusik und solche Geschichten. Also mal etwas völlig anderes. Hat mir auch sehr Spaß gemacht. Kommt aber, glaube ich, erst Anfang nächsten Jahres in Amerika heraus.

S. Tsarouchas: Gibt es zu Lost Place eine Soundtrack-Veröffentlichung?

A. Sieber: Ja, es gibt eine. Wie ich heute erfahren habe, gibt es, glaube ich, am 6. September eine digitale Veröffentlichung des Albums und am 15. auch eine physische. Der Soundtrack kommt also richtig als CD heraus.

S. Tsarouchas. Wie ist es mit den Rechten? Ich schätze, dass ist eine Mischung aus Liedern und Score?

A. Sieber: Das wird genau minutiös aufgeteilt, wie viel Score von mir und wie viel von anderen darauf ist.

S. Tsarouchas: Bei Musikveröffentlichungen ist es so, dass man in der Regel nicht den originalen Soundtrack nehmen kann. Man muss nachbearbeiten. Wie war das bei dieser Musikveröffentlichung?

A. Sieber: Das werde ich heute Abend erfahren. Es wurde nachbearbeitet, also umgestellt, aber nicht umgeschnitten. So wurde in die Musik definitiv nicht eingegriffen. Aber es wurden natürlich teilweise Stücke gekürzt und in eine andere Reihenfolge gebracht. Ich werde heute Abend das Ergebnis hören. Ich weiß es noch nicht.

S. Tsarouchas: Was das Verändern der Musik angeht: Als Sie die fertige Mischung gesehen haben, wurde da Musik umgestellt oder verändert?

A. Sieber: Nein, nur manchmal etwas früher rausgenommen oder etwas später gestartet. Aber verändert wurde nichts. Nein, das stimmt nicht. An einer Stelle wurden ein paar Schläge dem Sounddesign angepasst. Das ist dann auf dem Soundtrack anders. Ich glaube, dass hört aber fast niemand.

S. Tsarouchas: Wenn Sie mir eine Definition von Filmmusik geben könnten, was ist Ihrer Meinung nach Filmmusik und welche Rolle hat sie in einem Film?

A. Sieber: Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage. Filmmusik kann jegliche Art von Musik sein, die in irgendeiner Weise die Handlung des Filmes unterstützt oder der Handlung des Filmes eine eigene Komponente hinzufügt.

S. Tsarouchas: Was halten Sie davon, wenn die Filmmusik die Rolle eines Schauspielers übernimmt? Manche Filme sind ja nicht ganz so gut und man versucht das durch die Musik zu kaschieren.

A. Sieber: Jeder versucht sein Bestes zu geben und wenn die Musik besser war als der Schauspieler kann man in dem Sinne nichts machen. Anders herum natürlich genauso. Es gibt Filme mit sehr guten Schauspielern und mit leider sehr schlechter Musik, die den Film dann auch ziemlich runterzieht. Aber an sich finde ich, wenn eine Stimmung in einer Szene nicht wirklich da ist und man dann versucht, sie rein durch die Musik zu erzeugen, das kann schon auch sehr angestrengt und sehr gewollt wirken.

S. Tsarouchas: Gab es bei LOST PLACE auch Diskussionen mit dem Produzenten? Dass die Produzenten versucht haben zu bestimmen?

A. Sieber: Nein, das kann ich nicht sagen. Der Produzent hat uns wirklich sehr freie Hand gelassen und war eigentlich sehr zufrieden mit der Arbeit des Regisseurs und mit meiner Musik.

S. Tsarouchas: Wie ist das mit der Psychologie von Musik? Man erwartet entweder tiefe Klänge und Beats oder vibrierende Geigen, wenn es ein bisschen gruselig wird. Haben wir als normale Kinogänger eine bestimmte Erwartungshaltung, so etwas zu hören?

A. Sieber: Also...ich selbst gar nicht. Aber man hört natürlich sehr oft tiefe Bässe und vibrierende Geigen und auch in LOST PLACE hört man tiefe Bässe und vibrierende Geigen. Es ist tatsächlich so, dass man mit diesen Stilmitteln, also mit tiefen Bässen oder flirrenden Höhen, eine spezielle Stimmung erzeugt. Würde man etwas völlig anderes an so einer Stelle machen, also z. B. eine elegische Oboen-Melodie, dann würde man eine vollkommen andere Stimmung erzeugen und den Film brechen. Deswegen ist eben diese psychologische Erwartungshaltung auch relativ logisch.

S. Tsarouchas: Wie ist es mit Leitmotiven?

A. Sieber: Leitmotive haben natürlich auch mit klassischer Erzählstruktur zu tun. Wenn wir einen Film haben, in dem ganz klassisch Helden auftreten, abtreten oder man weiß, jetzt kommt gleich dieses oder jenes, dann ist das Verwenden von Leitmotiven sehr logisch und sehr schlüssig und wird auch seit den Wagner-Opern sehr gut praktiziert. Ich selbst mag "Leitstimmungen", wie ich sie nennen möchte, lieber, mit denen ich schon vorher eine neue Stimmung etabliere, so dass der Zuhörer spürt, was wohl kommt, aber nicht wirklich mit dem Motiv ganz genau herangeführt wird. 


Das Interview wurde korrigiert und editiert von Katharina Diekhof.