Am 10. Februar wurden in Berlin die Grand Scores 2016 verliehen. Anne Dudley war als Jurorin bei der Preisvereihung anwesend.
Stefanos Tsarouchas: Sie sind als einzige Komponistin heute da. Sie sind die einzige Frau in der Jury. Warum?
Anne Dudley: Wahrscheinlich haben sie sonst keine andere Frau gefragt (lacht). Es gibt sehr viele von uns. Nächstes Jahr werden es sicherlich mehr sein.
S. Tsarouchas: Und es wurden auch keine Frauen in einer Kategorie nominiert.
A. Dudley: Nun, ich möchte glauben, dass die besten Leute nominiert werden. Ich möchte keine Unterscheidung treffen. Ich werde nächstes Jahr dabei sein (lacht)
S. Tsarouchas: Ich hoffe es. Zuletzt habe ich von Ihnen die Musik zu POLDARK gehört Können Sie ein bisschen über den Score sprechen. Welche Einflüsse gibt es?
A. Dudley: Nun, POLDARK spielt in Cornwall, das im Westen von England liegt. Es hat ein keltisches Gefühl. Cornwall teilt sich die Kultur mit Schottland, Wales und Irland. Ich wollte ein wenig von dieser Volksmusik mit hineinbringen. Ich habe außerdem noch eine Solovioline verwendet. Ich habe mit Chris Garrik, einem guten Freund und Violinspieler gearbeitet. Schon sehr Jahren versuche ich mit ihm zusammen zu arbeiten. Das war jetzt die perfekte Gelegenheit. Ich liebe auch die Geschichte. Sie ist romantisch und geschichtlich interessant. Sie entwickelt sich. Die Figuren fühlen sich real an. Ich liebe einfach die Serie. Ich habe übrigens gerade mit den Arbeiten an der zweiten Staffel begonnen. Es wird 10 Episoden geben. Ich muss die Serie lieben, weil sie ein halbes Jahr meiner Zeit in Anspruch nimmt und ich liebe sie auch (lacht).
S. Tsarouchas: Sie haben auch für das US-Fernsehen gearbeitet. Welche Unterschiede gibt es zum britischen?
A. Dudley: Nun, rein praktisch glaub ich, dass es im amerikanischen Fernsehen wahrscheinlich höhere Budgets gibt. So kann man sich mehr Musiker leisten, aber ich glaube, es geht nicht um den Fakt Amerika gegen Britannien. Es gibt einen unterschiedlichen Score, der vom Genre abhängt. Bei DAS ZEHNTE KÖNIGREICH mussten wir eine eine sehr fantastische Welt erschaffen. Es gab eine große epische Breite. POLDARK hat auch etwas Episches an sich, aber die Serie ist intimer, sie basiert auf den Beziehungen der Figuren..
S. Tsarouchas: Die BBC muss sparen. Hat das Auswirkungen auf POLDARK und auch Ihre Musik dazu?
A. Dudley: Es ist immer ein Kampf. Man muss sich anpassen. Ich will damit sagen, natürlich möchte ich mehr Zeit haben, mehr Musiker, aber wir leben nicht in einer perfekten Welt. Wir müssen das Beste mit den Mitteln erreichen, die wir zur Verfügung haben. POLDARK hat ein ganz gutes Budget. Man kann da nicht viel sparen. Man sieht die Qualität überall wie den Kostümen, dem Design, überall.
S. Tsarouchas: Sie sind in vielen Genres zu hause. Sie haben z. B. Musik für Thriller geschrieben. Was ist Ihr Lieblingsgenre und warum?
A. Dudley: Es ist das, an dem ich gerade arbeite. Ich habe Glück, weil ich eine sehr viel abwechslungsreiche Arbeit bekomme und ich liebe die Abwechslung. Ich möchte mich nicht gerne wiederholen. Ich glaube das Genre, welches ich am liebsten mag, ist das romantische Drama, wo es sich lohnt eine Melodie zu schreiben. Ich liebe Melodien. Ich mag die Harmonien. Elektronische Scores sind großartig. Ich mag es auch mit Klängen zu experimentieren, aber ich liebe die Möglichkeit etwas Gefühlvolles zu machen.
S. Tsarouchas: Ich kenne nur drei Komponistinnen aus Großbritannien. Das sind Sie, Debbie Wiseman und Rachel Portman. Warum gibt es so wenig Komponistinnen in Großbritannien und in Europa im Allgemeinen?
A. Dudley: Ich weiß es nicht. Wenn ich in Colleges bin, sind Frauen und Männer meist gleich stark vertreten. Es wird Zeit brauchen bis es sich ändert. Filmmusik wird immer technischer. Man muss sich im Studio schnell anpassen können. Vielleicht schreckt das einige Frauen ab. Ich weiß nicht. Ich hoffe nicht! Die Technik ist zwar kompliziert, es war sicher einfacher als ich anfing, aber man kommt damit zurecht. Ich zerbreche mir nicht ständig meinen Kopf darüber, dass ich eine eine Komponistin bin.
S. Tsarouchas: Wie komponieren Sie Musik? Benutzen Sie Stift und Papier oder spielen Sie etwas am Klavier oder beginnen Sie am Computer?
A. Dudley: Wenn es nicht etwas elektronisches ist, etwas das orchestral ist, beginne ich am Piano. Für mich ist mein Piano meine orchestrale Palette. Ich spiele etwas und stelle mir vor, dass ist etwas für dieses oder jenes Instrument. Hier haben wir die Cellos und so. In meinem Kopf ist die Musik schon fertig. Danach mag ich es Stift und Papier zu verwenden. Ich dachte, dass ich deswegen sehr altmodisch wäre, aber ich habe herausgefunden, dass es Komponisten gibt, die ich sehr bewundere, die es auch tun. Vince Mendoza, der Amerikanische Komponist, macht das auch so und viele andere Komponisten auch. Ich spreche mit ihnen darüber und frage sie, ob sie auch noch Papier und Stift benutzen um Noten aufzuschreiben. Sie sagen, ja. Es gibt also noch ein paar von uns, die so arbeiten. Ich bin wirklich sehr, sehr schnell. Wenn ich an einem Computer Noten eingeben würde, wäre ich viel langsamer.
S. Tsarouchas: Deutsche Komponisten, die für's Fernsehen arbeiten, sagen mir, dass Produzenten und Regisseure Mock‑Ups mögen. Sie verwenden die um ein Gespür für die Musik zu bekommen.
A. Dudley: Ich habe einen sehr guten Assistenten, der mit mich arbeitet und die Mock-Ups für mich erstellt. Ich glaube aber nicht, dass „Sibelius“ ausreicht. Man muss wirklich hart arbeiten, damit ein Mock-Up gut klingt. Ich möchte dafür nicht zu viel Zeit verwenden. Es gibt Leute, die es besser können als ich, inklusive meines wundervollen Assitenten Erin. Ich glaube, ja, das wird wohl so weiter gehen.
S. Tsarouchas: Was halten Sie von temporärer Musik? Mögen Sie das?
A. Dudley: Eigentlich nicht, weil sie unausweichlich die Art vorgeben wie man über etwas denkt. Ich habe gerade an ELLE, einen Film von Paul Verhoeven gearbeitet. Das ist ein Französischer Film. Verhoeven hat keine temporäre Musik verwendet. Das war sehr befreiend, weil wir bei Null angefangen haben. Wir konnten erfinden, was wir wollten, ohne das wir an etwas gebunden sind. Es gibt nichts, was jemand schon gut finden würde.
S. Tsarouchas: Beginnen Sie das Komponieren mit dem Drehbuch oder warten Sie auf eine Rohfassung?
A. Dudley: Ich möchte Bilder sehen, weil ich sehr von visuellen Aspekten beeinflusst werde. Ich lese Drehbücher, aber ich fange meist erst dann an, wenn ich die Charaktere sehen kann, das Produktionsdesign, das Licht, die Machart, das Tempo des Films.
S. Tsarouchas: Was ist für Sie eine gute Herausforderung?
A. Dudley: Eine gute Herausforderung, eine gute Herausforderung ist etwas wirklich schnell zu machen und ich mag das. Ich habe für die BBC an einem Fernsehfilm gearbeitet und ich hatte wirklich wenig Zeit. Ich habe die Endfassung am Sonnabend morgen bekommen. Am Dienstag habe ich den Score aufgenommen. Das waren ungefähr 26 Minuten Musik. Kein Scherz! Es war hart, aber auf eine Weise habe ich es wirklich gemocht. Im Studio habe ich mich lebendig , angeregt gefühlt! Ich möchte das aber nicht ständig machen!
S. Tsarouchas: Für welchen Fernsehfilm war das?
A. Dudley: Das war THE BOY IN THE DRESS. David Walliams macht zu Weihnachten immer einen Familienfilm. Diese Weihnachten habe ich für ihn an BILLIONAIRE BOY gearbeitet.
S. Tsarouchas: Welche Rolle sollte Filmmusik in einem Film haben?
A. Dudley: Ich habe vor kurzem einen Film ohne Musik gesehen. Er hieß 45 YEARS. Er ist hoch angesehen. Charlotte Rampling wurde für verschiedene Auszeichnungen nominiert. Ich fand aber, sie haben etwas versäumt, weil sie keine Filmmusik hatten. Ich fand den Film langweilig. Es gab nichts, was mir während der Entwicklung der Geschichte halt. Es gab natürlich kein Thema. Ich glaube, Musik kann so viel für einen Film leisten. Man merkt es aber erst, wenn es keine gibt. Musik bringt diese emotionale Intensität dazu, die innere Botschaft des Films.
S. Tsarouchas: Die großen Hollywoodfilme haben jetzt sehr viel Musik. Europäische Filme haben wenig Musik. Liegt es daran, dass wir Filme auf eine andere Weise sehen oder andere Erwartungen an die Filmmusik haben?
A. Dudley: Das ist interessant. Der Film mit Paul Verhoeven ist ungefähr zwei Stunden lang. Ich habe gerade den Notensatz gesehen. Ich habe fast 46 Minuten Musik dafür geschrieben. Wenn es jetzt ein Hollywoodfilm wäre, zwei Stunden lang, gäbe es sicher 1 Stunde und 40 Minuten Musik. Wir versuchen aber etwas anderes zu erreichen, wenn wir Musik haben. Die Musik soll etwas ausdrücken. Sie soll etwas bedeuten, wenn sie zu hören ist. Manchmal glaube ich, Musik wird bei Hollywoodfilmen einfach Teil der Soundeffekte. Sie ist einfach da, nicht sehr laut, einfach Gedudel. Ich mag das nicht. Es gibt eine Magie, wenn man in der Mitte einer Szene ist, die Musik beginnt und verstärkt den Moment. Wenn aber die Musik ständig da ist, kann man das nicht machen. Ich weiss nicht so recht. Manchmal habe ich Filme mit sehr viel Musik gemacht. Wenn es nach mir ginge, würde ich weniger Musik verwenden, als es sie in vielen Hollywoodfilmen gibt. Manchmal sehe ich einen angesagten Film und frage mich, warum gibt es hier Musik? Sie hat doch anscheinend gar keine Aufgabe?
S. Tsarouchas: Glauben Sie, dass Veranstaltungen wie die Grand Scores heute eine Unterstützung für Europäische Komponisten sind?
A. Dudley: Das eine eine ausgezeichnete Idee. Ich glaube, es war ein sehr eleganter Abend, sehr gut gemacht, sehr nobel. Ich hoffe es. Es wäre schön, wenn es mehr Veranstaltungen wie diese geben würde.