Das Interview mit Nils Frahm und Sebastian Pille wurde an 30. Mai 2015 im Vorfeld der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2015 geführt.
S. Tsarouchas: Könnt Ihr euch ein bisschen vorstellen?
Nils Frahm: Ich bin Nils Frahm. Ich lebe in Berlin und mache Musik. Ich spiele hauptsächlich Tasteninstrumente und bin heute hier wegen meiner ersten Filmmusik hier. Sonst spiele ich live oder arbeite im Studio an Soloprojekten.
Sebastian Pille: Ich bin Sebastian Pille und mache hauptsächlich Filmmusik. Ich schreibe auch Songs und bin heute wegen der Nomininierung für IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS hier. Die Musik habe ich zusammen mit Niki Reiser geschrieben.
S. Tsarouchas: Warum gibt es bei dem Film zwei Komponisten?
S. Pille: Niki Reiser arbeitet oft alleine. Ich arbeite oft alleine. In dem Fall war es so, dass wir mit dem Film nach Toronto, auf das Filmfestival wollten. Die Zeit war relativ knapp und dann mich hat der Produzent angerufen und gefragt, ob wir das zusammen machen wollen, also der Niki dann und ich.
S. Tsarouchas: Habt Ihr euch den Film von den Szenen her aufgeteilt oder war Niki Reiser war fertig und Du hast den Rest gemacht?
S. Pille: Nein, ich bin eigentlich relativ zu Anfang dazu gekommen. Sann haben wir uns die Stränge so ein bisschen aufgeteilt. Wir haben uns überlegt, was für einen Sound wir haben wollen und was für Instrumente wir benutzen wollen. Niki ist ja eigentlich in der Schweiz in Basel, ist dann nach München gekommen und hat sein Studio mitgebracht. Wir haben wir da eigentlich ziemlich eng zusammen gearbeitet.
S. Tsarouchas: Ich habe mich gestern noch einmal mit Kollegen unterhalten, was die Musik für VICTORIA angeht. Wirklich keiner von uns konnte sich an die Musik erinnern. Ist das jetzt ein Kompliment für den Musiker oder nicht?
N. Frahm: Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Ich denke, dass es durchaus auch etwas Gutes hat, wenn die Musik sich in der Erinnerung zurückhält. Es ist von der anderen Seite auch kurios. Es gibt zum Beispiel zwei Stellen, wo der O-Ton für vier Minuten aussetzt und nur Musik spielt. Das macht insgesamt fast acht Minuten vom Film aus, wo nur Musik gespielt wird und keine anderen Geräusche herrschen. Wenn die Menschen dann immer noch nicht an die Musik denken, in diesen Momenten, wo nur Musik läuft, dann ist es glaube ich, eher positiv zu sehen. Es sind derart drastische Einschnitte, die oft negativ gesehen werden, als zu rabiat und dann hängt man sich vielleicht auf daran, dass die Musik ja auch gar nicht passt. Das heisst, in dem Falle , wo Du sagst, dass sich die Menschen nicht daran erinnern, denke ich, das es gut gegangen ist, weil dann Teil des Films geblieben ist und verschwommen mit dem Rest und steht nicht so, setzt sich nicht so ab wie Essig in Öl. Das ist ganz gut.
S. Tsarouchas: Liegt es vielleicht auch daran, dass es für LABYRINTH DES SCHWEIGENS eine Soundtrackveröffentlichung gibt und für VICTORIA nicht?
N. Frahm: Doch, gibt es auch! (Stefos: gibt es?) Für VICTORIA gibt es eine Veröffentlichung auf Erased Tapes. Sie kommt zum Filmstart Mitte Juni heraus, aber sie ist jetzt noch nicht heraus. Das dauert alles noch ein bisschen.
S. Tsarouchas: Wie ist der Regisseur auf dich gekommen?
N. Frahm: Sebastian Schipper ist, glaube ich, über einen befreundeten Journalisten auf mich gekommen. Der kennt meine Musik und hat mich vorgeschlagen und ihm von meiner Musik erzählt . Mein Freund Ólafur Arnalds, ein isländischer Komponist, war auch im Rennen. Am Ende fiel dann die Wahl auf mich und auch, weil ich sicherlich hier dicht dran war an Berlin. Es war eine ganz neue Erfahrung. Keiner wusste wohin die Reise geht. Für mich war es auch der erster Langfilm.
S. Tsarouchas: In welcher Phase bist Du hinzugekommen? Schon im Vorfeld, bevor sie mit dem Dreh angefangen haben?
N. Frahm: Nein, der Film war abgedreht, als ich ins Gespräch kam. Ich habe den Rohschnitt gesehen und wollte sofort mitmachen.
S. Tsarouchas: Wie hat Regisseur Sebastian Schipper mit dir über die Szenen gesprochen, beziehungsweise wie habt ihr euch darüber unterhalten?
N. Frahm: Meistens haben wir uns einfach getroffen und, beim Kaffee oder beim Glas Wein gesprochen. Wir sind beide, na ja, ich sage mal "alte Schule" in der Art und Weise wie wir gerne Projekte machen. Also wir treffen uns einfach und sitzen zusammen und überlegen. Es war ganz schön, weil vieles geht ja über Email und über Skype und all das. Das gefällt mir an Filmmusik am wenigsten, diese na ja, schnöde Art der Kommunikation. Dann gibt es tausend Minutenangaben und Dies und Das. Das ist für mich alles ganz frustrierend, deswegen war das für mich auch irgendwie gleich ein Plus, das wir uns einfach immer getroffen haben. Ich meinte, komm einfach herum, lass uns sprechen. Das war, glaube ich, auch ganz gut, dass wir so auch räumlich dicht zusammen waren in dem ganzen Prozess. Das hilf eine Menge.
S. Tsarouchas: Die gleiche Frage auch an dich, Sebastian. In welcher Phase bist Du hinzugekommen? Die Zeit drängte zwar, aber war der Film praktisch im Rohschnitt schon fertig?
S. Pille: Es gab einen Rohschnitt. Ich weiß jetzt gar nicht mehr ganz genau, wie viele sie noch dran verändert haben, aber es war in dem Moment schon relativ weit fortgeschritten, als ich dazugekommen bin, ja.
S. Tsarouchas: Ist es für dich ein Vorteil, wenn Bilder schon existieren um die Musik zu finden?
S. Pille: Also es kann ein Vorteil sein. Es ist manchmal auch ganz interessant, wenn man zum Drehbuch schon etwas schreibt. Ich finde es ganz gut, dann noch im Anfang auch unabhängig und frei zu sein. Manchmal passieren ganz interessante Dinge, wenn man die Musik, die man geschrieben hat auf's Bild legt und sieht wie das zusammen wirkt. Wenn man das Bild schon hat, dann ist man zwangsläufig näher dran. Ich finde, es kann manchmal auch ein Nachteil sein. Ich finde es gut, wenn eine Musik dem Film wirklich etwas hinzufügt und nicht unbedingt so nah am Bild dran ist, aber das ist natürlich auch je nach Genre unterschiedlich.
S. Tsarouchas: Du bist ja im Gegensatz zu Nils schon ein etablierter Filmkomponist, kann man schon so sagen (lächeln).
S. Pille: Kann man sagen (lachend)!
S. Tsarouchas: Du hast im Gegensatz zu ihm eine klassische Ausbildung, auch als Filmkomponist. Ist es für dich ein Vorteil?
S. Pille: Ich glaube ehrlich gesagt, dass man Komponieren nicht lernen kann. Also ich habe angefangen Musik zu schreiben, da wusste ich noch gar nicht, was ich wirklich machen will. Alles was ich danach irgendwie an theoretischem Wissen noch gelernt habe, das kann manchmal helfen als Werkzeug, aber Komponieren selber glaube ich, kann man gar nicht lernen.
S. Tsarouchas: Wie ist es dann mit dem, was der Zuschauer von der Musik erwartet? Das ist eine Frage an Euch beide. Bei deinem Film, Sebastian geht es um ein jüdisches Thema. Für mich war es so ein bisschen Violine wie in SCHINDLERS LISTE, weil die Leute das noch so in Erinnerung haben. Entweder erwarten das die Zuschauer, dass so etwas bei diesem Thema kommt oder die Filmemacher wollten, das es kommt, damit die Zuschauer sich erinnern.
S. Pille: Ja, also das die Violine so ein bisschen besetzt ist, dass ist jetzt so. Ich finde es aber keinen Grund, sie dann auszusparen, wenn es dann doch eigentlich intuitiv passt. Ich hätte jetzt bei dem Entstehungsprozess nicht den Eindruck, dass es so ist, dass es in irgendeiner Form eine starke Einflussnahme gab oder irgend so etwas. Es war letztendlich schon eine relativ freie Entstehungsform.
N. Frahm: Na ja, ich glaube in meinem Falle bei VICTORIA muss man dazu sagen, dass es ein One-Shot ist. Es gab gar keine Schnitte. Der Film bedient aus verschiedensten Gründen nicht wirkliche Erwartungen, weil er irgendwo in ein Genre fällt, was noch nicht so viel erforscht wurde. Es gab natürlich schon einige One-Shot Geschichten, aber ich glaube in dieser Form ist der Film ein bisschen so ein Aussenseiter-Film. Er funktioniert irgendwo anders als Filme, die vielleicht klassisch geschnitten sind und funktionieren. Das musste man bei der Musik dann natürlich auch feststellen, dass man ja, Probleme hat, zum Beispiel aus der Musik herauszukommen. In die Musik reinzukommen ist immer kein Problem. Es wird quasi in Anführungsstrichen "lauter". Das ist erst einmal angenehm. Erst passiert eine Dynamik und dann, wenn die Musik irgendwann mal aufhört, dann geht der Film aber einfach weiter, ohne das wirklich ein Schnitt passiert. Mann merkt, dann kommt der Film ins Stocken, deswegen musste man sehr viel an diesen Fade-outs arbeiten oder wie geht die Musik raus.
Ich fand, das war viel spannender als sich darüber Gedanken zu machen, ob wir beim Stoff, der sich um junge Menschen in Berlin dreht, ob man da jetzt irgendwie Hip-Hop oder Drum-Bass Musik macht. Das war für mich gar keine Frage, weil das wäre ja komplett bescheuert, das zu doppeln. Es war ja viel wichtiger dem Film eine Leiter zu schenken, wo Menschen, die vielleicht eher aus einem besser bestelltem Milieu kommen, die in der Berlinale sitzen und den Film gucken, die Musik benutzen, die ja sehr klassisch gehalten ist, sehr ruhig gehalten istm um auch diese Menschen, diese jungen Menschen zu verstehen. Hätten wir jetzt einfach komplett einen Milieufilm daraus gemacht, dann wäre das zu kurz gegriffen gewesen. Es geht ja eigentlich um eine viel tiefere Geschichte, in dieser eigentlich sehr banalen Geschichte und deswegen wollten wir den Fokus nicht auf die Ghetto-Kids legen, sondern auf eher aktivere Themen wie Freundschaft. Welche Rolle spielt die verlorene Generation in Europa auf der Straße oder im Alltag.
S. Tsarouchas: Bei VICTORIA hätte man aber auch komplett auf Filmmusik verzichten können!
N. Frahm: Das habe ich Sebastian auch zuerst gesagt. Meine erste Idee war, mach einfach keine Musik. Ich habe ihm gesagt: „Ich sag's dir als Kunstfan, wenn das mein Film wäre, würde ich keine Musik darauf packen." Da hat er gekichert und meinte, nein, wir wollen auf jeden Fall Musik. Ich meinte, ich sage es dir noch einmal und ein drittes Mal und dann meinte ich, okay, ich versuche es, aber es war sehr undankbar. Das ist ein unglaublich undankbarer Film, Musik dafür zu machen, also extrem schwer. Eigentlich wusste ich von vornherein, dass ich hinter meinen Erwartungen zurück bleibe muss, weil meine Erwartung war eigentlich, das keine Musik passiert.
S. Tsarouchas: Wie haben Regisseur und Filmemacher mit Euch über die Musik gesprochen, was für eine Musik sie in dem Film haben wollen oder gab es das überhaupt nicht?
N. Frahm: Ach, jeder Regisseur ist da anders. Was sie sympathisch macht, ist, dass sie irgendwo das Eine sagen, das Andere meinen. Manchmal trifft man zufällig das Richtige. Manchmal zeigt man ihnen auch Dinge, die sie gar nicht erwarten hätten, die sie total cool finden. Ich glaube, manchmal redet man mit den Music‑Supervisorn, die vielleicht mehr die Komponisten verstehen und aber auch den Regisseur verstehen. Oftmals ist diese Brücke wichtig. In unserem Fall war es ganz schön, mal direkt mit dem Regisseur zu sprechen und nicht irgendwie einen Übersetzer dazwischen zu haben. Das hat im Grunde auch echt gut geklappt, weil Sebastian auch ein sehr charismatischer Typ ist, der sich sehr gut ausdrücken kann, der viele Worte findet und Bilder findet, die einem helfen Sachen noch einmal zu verstehen, nachzuvollziehen.
S. Pille: Es ist eigentlich auch so, das ich es am besten finde, wenn der Regisseur einfach schildert, wie er die Geschichte sieht. Das hilft mir eigentlich am meisten. Wirklich konkret musikalische Anweisungen, ja, das ist manchmal schwer dann umzusetzen.,Eas war eine sehr angenehme Zusammenarbeit mit Giulio Ricciarelli (dem Regisseur von IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS, Anm.). Es hat sehr viel Spaß gemacht, aber er ist auch sehr genau. Wir haben an einigen Stellen lang gearbeitet, aber es gab auch immer eine klare Richtung, das ist dabei auch wichtig.
S. Tsarouchas: Habt Ihr mit Temp Tracks gearbeitet?
S. Pille: Es gab welche, ich habe sie mir aber nicht angehört. Ich versuche das eigentlich zu vermeiden. Es ist ja oft so, wenn man dazu kommt, liegt da schon eine TempMusik. Das braucht man natürlich auch für die Abnahmen und solche Sachen, aber ich höre mir eigentlich sehr ungern die Temp Musik an. Ich versuche eigentlich immer so weit es geht den Film ohne Musik zu bekommen.
S. Tsarouchas: Vor drei Tagen war ich bei der Pressevorführung von ABOUT A GIRL (Musik und Lieder zum Film sind von Sebastian Pille, Anm.). Was uns so ein bisschen gestört hat, waren die Lieder. Es waren irgendwie zu viele. Unsere Erwartungshaltung war eigentlich mehr richtige Filmmusik, keine englischen Lieder. Zwei Wörter vom Lied und dann war klar, so denkt die Hauptfigur. Dann kam der nächste Song und der Kollege neben mir hat wirklich aufgestöhnt. Wir sind alle etwasälter (S. Pille lacht ). Es war keiner von der Zielgruppe im Kino.
S. Pille : Bei dem Film war das Konzept, die Songs standen quasi schon im Drehbuch. Das heißt, an welchen Stellen Songs kamen, war in dem Fall von vorneherein so geplant,.
S. Tsarouchas: Mein Eindruck ist, dass es in Hollywood und auch in Deutschland zwei Strömungen gibt, was Filmmusik angeht. Entweder man ist eher klassisch ausgebildet wie Du, Sebastian oder ich sage mal vorsichtig "Quereinsteiger" wie Nils. Wie seht Ihr das, gibt es diese zwei Strömungen?
N. Frahm: Ich glaube, es gibt viel mehr als die.Man muss hinzufügen, dass es auch Leute wie Vincent Gallo gibt, die ihre Filmmusik selber machen als Regisseur, die die Kontrolle da gar nicht abgeben wollen.
Davor habe ich hohen Respekt. Ich finde es super. Dann gibt es auch Filme, denen es sehr gut steht, wenn Filmmusik, sie muss ja nicht immer so eine Art klassische Wurzel haben, nur weil man das lange schon so macht.
Dann gibt es Tarantino, der sich die Songs genau so wie seine Stilmittel alle selber aussucht und sagt, den Song will ich und den Song will ich. Der macht ja in dem Moment dann auch seine Filmmusik selber. Da habe ich auch höchsten Respekt für.
Oftmals ist es für mich dieses Orchestrarium, was man benutzt, also diese typischen Filmmusikinstrumente, das ist für mich wie so eine allgemeine universelle Gefühlsorgel. Sie dudelt irgendwie immer in dem Film so ein bisschen mit um dem Ganzen noch, ich sage mal ganz bösartig "Glutamat" hinzuzufügen, dass man auch wirklich garantiert mitkriegt, wann man weinen muss, wann man lachen soll, wann was passiert und so.Für mich ist es, weil ich eher aus der Kunstecke komme, ich bin auch kein großer Hollywoodfan, ich guck auch selber ganz wenig Filme, weil mich dieser Gleichklang oftmals sehr stört. Ich finde es schön, wenn Filme, sie können auch irgendwie von der Musik her klassisch angehaucht sein, immer wieder irgendwie eine neue Tür aufmachen.
THERE WILL BE BLOOD finde ich, ist esein gutes Beispiel, wo irgendwo auch klassische Musiker dabei ist, aber die müssen dann einfach mal irgendwie fies auf ihre Geigen hauen und irgendwie ganz chaotisch. Dann gibt es irgendwie wilde Notationsideen. Dann merkt man, okay, da emanzipiert sich die Musik auch auf eine gewisse Art und Weise. Sie bekommt einen zeitgenössischen neuen Platz in dem Film oder im Film generell. Diese klassische Idee von der Hollywoodfilmmusik, also solche Komponisten wie Hans Zimmer, was sie so machen alles, interessiert mich auf der Musikebene nicht. Ich würde mir den Soundtrack nicht kaufen und mir den zu hause nicht anhören. Vielleicht ist es ja gut für den Film, für die allgemeine Wirkung, aber wie gesagt, solche Filme gucke ich auch eher nicht. Deswegen geht es das alles komplett an mir vorbei, deswegen weiss ich nicht, ob es da zwei Strömungen gibt zwischen gelernten Leute, die eher so Hans Zimmer mäßig arbeiten und
S. Tsarouchas: Da muss ich dich unterbrechen, Hans Zimmer hat es ja auch nicht gelernt, Filmmusik in dem Sinn. Er hat sich das selber beigebracht.
N. Frahm: Das ist ja erst einmal okay. Also viele Leute, die jetzt früher Claudia Schiffer Porträts gemacht haben, waren ja auch nicht auf 1000 Fotoschulen, sondern die können das einfach sehr gut. Sie haben ein Gespür dafür, was bei den Leuten ankommt und was auch eine große Schneise schlägt oder wo die Leute einfach sagen, ja, das wollen wir jetzt. Was den Massengeschmack betrifft, funktioniert das vielleicht sehr gut. Für eher so kleinere Filme oder eher spannendere Filme, wie ich das sehe, finde ich meisten Filmmusik besser, die irgendwie neue, also ganz andere Methoden benutzt. Bestes Beispiel für mich ist DEAD MAN von Jim Jarmusch, wo Neil Young vor der Glotze sitzt, sich den Film anguckt, mit einer Gitarre auf dem Schoss und mit einem lauten Gitarrenverstärker und dazu dadelt, während der Film läuft. Das hat einfach eine Spannung, eine Frische, eine Präsenz und eine Einzigartigkeit, nach der ich mich oft bei Filmmusik sehne, ja, aber das beantwortet die Frage nicht direkt. Ich glaube, dass es sehr viele Ansätze gibt, von total JURASSIC PARK bis hin zu so DEAD MAN und Solo-E-Gitarre, funktioniert doch eigentlich fast alles auf Bildern immer, wenn man ganz ehrlich ist (lacht). Musik funktioniert auch immer sehr gut mit Bildern. Ich finde es immer sehr spannend wieder zu sehen, dass man komplett unterschiedliche Musiken auf einen Film legen kann und die Bilder sind oftmals so kräftig, dass die Musik davon getragen wird und im seltesten Falle funktioniert dann die Musik auch als Soundtrack.
S. Pille: Ich weiss nicht, ob es da wirklich so zwei Schulen gibt. Was mich eigentlich an Filmmusik von Anfang an interessiert hat, war dass eigentlich alles Filmmusik sein kann. Ich habe angefangen zwar klassisch Klavier zu spielen sozusagen, aber ich habe dann auch angefangen Gitarre zu spielen und ich habe schon gemerkt, ich will irgendwie Musik machen und bestenfalls davon mal auch Leben können. Das ist ja dann auch irgendwann immer schwerer geworden. Film fand ich schon immer interessant und eben auch den Punkt, das man sich nicht wiederholt, also das man viele verschiedene Sachen ausprobieren kann und eigentlich auch muss. Zum Beispiel mache ich schon ein paar Jahre diese Reihe UNTER VERDACHT, die immer sehr elektronisch gehalten. Da kann ich viel herumprobieren, mich ausprobieren, auch einmal Sachen machen, die vielleicht ein bisschen anders sind. Auf der anderen Seite macht es natürlich aber auch Spaß mal mit Orchester aufzunehmen oder dann, keine Ahnung, mit einer Big Band erwas zu machen oder Songs zu schreiben. Das ist eigentlich das, was mich am meisten reizt an Filmmusik und woher das dann kommt, ob man jetzt klassisch ausgebildet ist oder nicht, das spielt eigentlich in meinen Augen überhaupt gar keine Rolle. Entweder man hat ein Gefühl für Film und Filmmusik oder man hat es eben nicht.
S. Tsarouchas: Wie viel Zeit hattet Ihr beide für die Musik?
N. Frahm: Bei mir war es einfach so: wie viel Zeit ich mir nehmen konnte. Ich war in dem Zeitraum auf Tour. Ich habe auch sehr viel im Studio an meinen eigenen Alben gearbeitet und hatte am Ende nur 10 Tage im Studio und in diesen 10 Tagen wirklich jeden Tag einfach alle Instrumente aufgebaut. Ich habe von vornherein gesagt, erwartet keine Midi-Tracks von mir. Ich weiss nicht genau, wie das geht, was man da macht und so. Ich werde dann einfach mal ein paar Sachen einfach aufnehmen und dann schauen wir mal, was euch gefällt. Das können wir dann weiter entwickeln. In diesen 10 Tagen habe ich das gemacht. Dann haben wir irgendwie 120 Cues gehabt, die hat der Regisseur bekommen und hin und her geschoben. Er hat mir dann irgendwann eine Idee mit dem Schnitt geschickt. Wir haben uns immer weiter angenähert und das verfeinert. Dann habe ich noch eine Woche im Studio, zu Hause Overdubs, Edits gemacht und noch ein paar neue Sachen aufgenommen und das ein bisschen gemixt, aber das war sehr roh gehalten.
Ich arbeite am liebsten destruktiv, so dass die Leute von außen nicht mehr so viel dann herum mäkeln können. Wenn die hören, nee, das ist alles auf 2-Spur-Band aufgenommen und ich kann das jetzt nicht 2 dB lauter machen oder ich kann das nicht mehr rausnehmen, dann sind viele Leute damit oftmals einfach mit der Antwort auch zufrieden. Wenn Du denen nur 250 Spuren zeigst und sagst, eigentlich können wir alles machen, alles, alles, alles, sind die Leute oftmals auch ein bisschen überfordert. Meistens arbeite ich für mich selber, deswegen habe ich diesen destruktiven Workflow erarbeitet, damit ich immer etwas Neues mache, damit ich nicht das alte Ding wieder öffne und versuche das wieder besser zu machen, sondern das ich gar keine Chance habe. Wenn ich es besser haben möchte, muss ich noch mal von vorne anfangen. Das war für mich erst einmal auch ganz schön zu sehen, wie schnell man doch arbeiten kann, wenn man so arbeitet. Man kann mehr Musik schreiben, auch wenn vielleicht nicht alles davon benutzt werden kann. Man hat immer wieder das Gefühl eine neue Leinwand aufzuziehen und irgendwie was Neues machen zu können. Das war Sebastian Schipper sehr willkommen. Er ist eigentlich auch so ein 70er Jahre Freak ist. Er findet die großen alten Stoffe gut und die Art und Weise wie Leute damals gearbeitet haben. Das war eine gute Erfahrung, deswegen konnten wir das in drei Wochen eigentlich komplett besiegeln.
S. Pille: Bei uns hat es ein bisschen länger gedauert, weil wir dann eben nur noch die Vorbereitungen für die Orchesteraufnahme hatten und so. Ich weiß gar nicht genau, wahrscheinlich waren es sechs Wochen oder so etwas in der Richtung. Was ich noch genau weiß, war, wie stressig es zum Schluss war, weil wir zwischen Orchesteraufnahme und Filmmischung relativ wenig Zeit hatten. Dann hat Niki in Basel immer tagsüber gemischt und ich immer nachts (lacht). Das war ein bisschen hart, aber es hat funktioniert. Es funktioniert irgendwie immer. Es interessant, Deadlines hält man dann irgendwie immer! Wie man danach dann aussieht, das ist eine andere Frage (lacht)!
S. Tsarouchas: Wie war es mit den Produzenten? Haben die ein bisschen Druck gemacht? Ich kenne es zum Teil so, dass sich Produzenten extrem in die Musik eingemischt haben bis der Regisseur dann sagte, dass ist mein Komponist und lasst ihn mal in Ruhe.
S. Pille: Nein, das war bei uns gar nicht so. Der Produzent Jakob Claussen ist ja musikinteressiert. Wwir haben uns alle gut verstanden. Wir wollten alle in die gleiche Richtung. Es gab quasi keine wirklichen Konflikte in der Form. Es gab aber einfach die Filmmischung, die fest stand. Das war letztendlich der Punkt und die war nicht zu verschieben. Dann macht man es halt so (lacht) wie es ist.
S. Tsarouchas: So weit ich mich erinnere, gibt es bei IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS drei Tracks von dir bei der Soundtrackveröffentlichung. Stimmt das?
S. Pille: Das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht so genau. Das kann schon sein. Die sind dann irgendwie zusammengeschnitten worden. Da sind auch manchmal Stücke dabei, wo Sachen von Niki und von mir sind. Das ist auch im Entstehungsprozess nicht immer ganz klar getrennt gewesen. Also ich weiß noch, es gab so eine musikalische Wendung, die dann irgendwie so bei uns beiden Einfluss genommen hat oder wo wir dann beide eben irgendwie so ein bisschen in diese Richtung gegangen sind, deswegen das auseinander zu dividieren, das ist relativ schwierig.
S. Tsarouchas: Was war das?
S. Pille: Ich kann es jetzt nicht vorsingen (lacht).
S. Tsarouchas: Welche Aufgabe sollte Filmmusik im Film haben?
N. Frahm: Da denke ich noch ein bisschen darüber nach. (Alle lachen) Die Aufgabe der Filmmusik im Film?
Na ja ich glaube, klassisch, klassischerweise könnte man sagen, dass die Filmmusik, das zeigt, was der Kamera verborgen bleibt. Das ist meistens hinter der Haut und da kann die Kamera nicht durchgucken. Irgendwo ist die Musik da transzendent, ja, das ermöglicht irgendwo ein Einsteigen in die Gefühlswelt der Menschen, die man beobachtet oder Musik kann auch eine Naturlandschaft vermenschlichen. Zum Beispiel kannst du einen Fluss filmen und dazu die richtigen Musik spielen. Sofort kriegt diese Landschaft, etwas Belebtes. Also kannst du im Prinzip unbelebten Dingen durch Musik Leben einhauchen- Das Bild kann in dieser Zusammenführung aus Bild und Musik ganz andere Sachen machen. Es ist es dann wieder mehr als die Summe der Teile und dieses Dritte, was daraus passiert, ist einfach dasm was die Menschen ins Kino bringt, schätze ich. Also irgendwo ist das eine ganz trockene Veranstaltung, wenn Film ohne Musik auskommt. Das ist immer großes Lob für die Kamera, für den Regisseur. Das geht auch hier und da, aber der Film hat doch meistens eine größere Kraft, wenn noch Musik mit vorkommt . Ich glaube einfach aus diesem Druck auch zu beeindrucken, beeindrucken zu wollen oder beeindrucken zu müssen, wird die Musik auch in der Zukunft beim Film nicht fehlen und immer gebraucht werden.
Was die Musik auch noch kann, ist natürlich Schwächen, die vom Regisseur ausgehen oder von der Kamera oder vom Rest des Teams, können noch einmal aufgefangen werden. Ganz platt gesagt, du kannst einen Film durch Musik flicken, und weil beim Film in der Realisierung oftmals so viele Sachen anders kommen, als man sich die vorgestellt hat, ist der Filmmusiker immer noch der Joker um die Story zu retten.Das hat also eher narrative Wirkung, da kommen wir auch an das Feld, wo Songs benutzt werden, wo Wörter drin vorkommen. Es ist dann eigentlich schon Off-Text, das ist ein Off-Sprecher oder ist das noch Musik usw. Solche Sachen finde ich auch sehr toll. Eine andere Rolle in der Musik kann es sein den Menschen zu verwirren wie Stanley Kubrick immer wieder bewiesen hat, durch seine präzisen Kontraste in der Musik, der Walter im Weltraum und die Raumschiffe, die plötzlich anfangen zu tanzen usw. Da gibt es keine einfache Antwort darauf. Ich glaube aber, dass die Regisseure uns Musiker immer wieder als Joker ins Spiel bringen. Entweder machen wir es falsch, nehmen dem Film die Kraft oder wir können sie verdoppeln, verdreifachen. Zumindest denke ich, dass die Soundebene genauso wichtig ist wie die Bildebene und das das leider beim Film immer noch in den Budgets und in den Planungen und in den Zeitplanungen nicht wirklich berücksichtigt wird, muss man immer noch bemängeln. Eigentlich haben wir einen sehr wichtigen Job.
S. Pille: Ich sehe es eigentlich ähnlich (lacht). Ich finde es eigentlich immer am angenehmsten, wenn man einen Film hat, der per se schon ohne Musik auskommt, der ohne Musik schon funktioniert und kraftvoll ist. Wenn man dann die Chance hat dazu eine Musik zu machen und noch etwas Neues dem Film hinzuzufügen, das ist eigentlich für mich die interessanteste Arbeit. Schade ist es, wenn man eben wie Nils gerade gesagt hat, einen Film hat, der Schwächen hat und wo man dann versuchen muss darüber hinweg zu helfen.