Das ist eine editierte Version eines Interviews mit Annemarie Jacir, Regisseurin von WHEN I SAW YOU, das während der Berlinale 2013 für Cinématographe geführt wurde.
Die offizielle Seite zum Film WHEN I SAW YOU ist hier.
Bettina Hirsch: Hallo, Frau Jacir! Sie sind mit dem Film WHEN I SAW YOU in der Sektion Forum der Berlinale. Worum geht es in Ihrem Film? Bitte sagen Sie unseren Hörern etwas zum Inhalt!
Annemarie Jacir: Okay, danke! WHEN I SAW YOU spielt 1967. Es geht um eine Palästinensische Mutter und ihren Sohn. Sie sind gerade Flüchtlinge geworden und sind in Jordanien eingetroffen. Sie wurden vom Vater und Ehemann während des Kriegschaos getrennt. (…) Sie landen in einem Flüchtlingslager irgendwo in der Mitte von Jordanien (…) Der Junge hasst das Lager. Er hasst öffentliche Toiletten. Er hasst es für das Essen anzustehen. Für ihn macht nichts einen Sinn und am wenigsten Grenzen. Warum sind sie hier? Sie sind hier her gekommen. Warum können sie nicht einfach wieder zurück gehen? Wie erklärt man einem Kind, dass es jetzt eine Grenze gibt. Man kann nicht. Das macht alles keinen Sinn für den Jungen. Es sollte für niemanden einen Sinn haben. Vor allem haben sie noch den Vater verloren. Der Junge versteht es nicht. Die Mutter hat ihre Namen im Lager registrieren lassen. Sie müssen eigentlich nur noch darauf warten, dass der Vater kommt. Der Junge glaubt nicht daran. Wie soll der Vater sie finden. Sie wissen ja selbst nicht, wo sie sind? (…) Er ist ein 11 Jahre alter Junge. Er denkt sehr logisch. Er ist ein bisschen anders als die anderen Kinder. Er kann sich nicht so leicht anpassen, aber er hat seine Logik. Wenn man von jemandem getrennt wird, geht man an einen Ort, den beide kennen. So findet man sich wieder. Er ist wie besessen davon zurückzukehren und seine Eltern wieder zusammen zu bringen. Er ist in einem Alter zwischen Kind sein und Erwachsen werden. Seine Mutter ist ein bisschen zu beschützerisch. Er versucht unabhängiger zu werden. Die späten 60'er Jahre waren eine Zeit der Unabhängigkeit überall auf der Welt, wie auch zwischen einem Jungen und dessen Mutter. Er rennt weg um den Vater zu finden und die Eltern wieder zusammenzubringen. Auf dem Weg trifft er auf eine Gruppe Palästinensischer Widerstandskämpfer, die sich in einem Wald verstecken. Politisch versteht der Junge nicht, was vor sich geht, was sie da machen. Er denkt nur, er hatte Leute getroffen, die so sind wie er. Sie wollen zurück. Er will auch zurück. Er glaubt, er hat Leute getroffen, die genau anders sind als die Menschen im Flüchtlingslager. Die warten einfach nur. Er hat jetzt Leute getroffen, die etwas tun.
B. Hirsch: Warum die Sichtweise eines Jungen?
A. Jacir: Ich mag es, dass er Hoffnung hat. Ich meine damit, die Handlung spielt in einer Zeit, die ich selbst nicht erlebt habe. Die späten 60'er Jahre waren voller Hoffnung überall auf der Welt. Es gab die Studentenbewegung. Man war gegen Kolonialismus. Es gab die Frauenbewegung, den Kamp für Bürgerrechte. Überall auf der Welt war eine Hoffnung, das normale Menschen ihr Leben verändern können.Ich mochte die Idee von einem Jungen, das ein kleiner Junge auch diese Hoffnung hat. Es geht auch um die Beziehung zu seiner Mutter, die jede Hoffnung verloren hat. Sie hat alles verloren. Sie hat ihren Ehemann verloren, Sie hat ihr Heimatland verloren. Ihr ist nur noch der Sohn geblieben. Sie ist ein bisschen über vorsichtig und versucht alles richtig zu machen. Sie ist aber auch eine alleinstehende Frau mit einem Jungen in einem Flüchtlingslager. Sie zieht sich zurück. Kinder merken das. Im Film geht es auch um ihre Veränderung. Der Junge ist noch unschuldig und offen. Es geht nicht um sein politisches Verständnis. Es geht um seine grundlegenden Gefühle.
B. Hirsch: Haben Sie daran gedacht den Film für die Sektion Generation einzureichen?
A. Jacir: Ja, es ist komisch, dass Sie es erwähnen. Einer unserer Verleiher hat es auch gemeinst. Es ist ein guter Film auch für diese Sektion. Ich weiß nicht, wir sind beim Forum (lacht). Glücklich beim Forum!
B. Hirsch: Sie sind eine unabhängige Filmemacherin und Drehbuchautorin. Sie leben in Jordanien. Bis Sie 16 Jahre waren, haben Sie in Saudi-Arabien gelebt. Dann sind sie nach Bethlehem und Riad gezogen. Zeigt der Film persönliche Erfahrungen?
A. Jacir: Ja, ich denke schon. In vielen Dingen ist es so. Das ist im Exil zu sein, von einem Ort zu träumen, aber auch getrennt zu sein. Ich habe meine eigenen Erfahrungen mit … Ich habe für viele Jahre in Ramallah gelebt und dann durfte ich nicht mehr zurück. Darum lebe ich seit dem in Jordanien. Ich kam mir so ein bisschen vor wie der Junge im Film (…) Man kann sein Heimatland sehen. Man kann es wirklich sehen! Es ist nicht etwas, was weit weg ist. Man sieht es direkt vor sich. Den Ort, zu dem man nicht wieder zurück darf, weil jemand … dieses ganze Konzept. Jemand sagt, da ist die Grenze und die gab es vorher nicht. Es gibt diesen Schwachsinn hier, dass … auf eine Art ist es persönlich für mich. Ich bin total gegen die Trennung von Menschen untereinander.
B. Hirsch: Die Geschichte spielt 1967 in Jordanien. Flüchtlinge aus Palästina kommen über die Grenze nach Jordanien. Braucht das Publikum ein gutes Wissen über Israels Geschichte, die Geschichte Palästinas?
A. Jacir: Nein. (…) Ich denke nicht. Im Film geht es um die Sicht des Jungen. Teil der Geschichte ist auch, wenn man weiß, was damals geschehen ist, sieht man den Film vielleicht anders, wenn man nichts weiß (…) Es ist irrelevant. Der Film ist auf eine Art sehr einfach (…) Mutter und Sohn und ich glaube nicht, dass man Hintergrundwissen haben muss um den Inhalt zu verstehen, denn es ist eine emotionale Geschichte. Es ist kein Dokumentarfilm. Es ist eine einfache menschliche Geschichte.
B. Hirsch. Die Musik zeigt den neuen Geist der 60'er Jahre. Wie wichtig war das für den Film?
A. Jacir: Es ist wichtig. Für uns als Palästinenser, wir waren auch … politisch hat sich damals so viel bewegt und auch sozial. Es hat sich viel in der Mode und Musik geändert. Wir Palästinenser waren damals weniger isoliert als heute. Ich will damit sagen, dass sich die Menschen damals gegenseitig beeinflusst haben, und dann gab es noch die Musik. Ich habe all diese Recherche gemacht, als ich die Musik für den Film suchte. Es gab verrückte Sachen! Verrückte Fusion! Verrückte Leute waren (…) natürlich haben sie damals auch sehr viele Drogen genommen, aber (lacht) sie haben nach Osten, sie haben nach Westen geschaut. Sie waren, ich glaube, heute haben wir Fusion Musik. Sie ist sehr Hip, aber damals war alles noch am Anfang und es ist sehr interessant, die kulturellen Einflüsse im Bezug auf Musik und Mode. Ich habe einen wirklich seltsamen Ägyptischen Jazz gefunden, großartige Musik. Es hat Spaß gemacht und ich denke, das sagt viel über die damalige Zeit aus, wie die Menschen damals dachten. Sie dachten nicht wie wir heute (…) Ich habe damals nicht gelebt und ich habe meine Fantasien über die damalige Zeit, aber ich glaube damals waren die Menschen mehr miteinander verbunden.
B. Hirsch: Haben Sie ihre Eltern gefragt, wie es damals war?
A. Jacir: Ja, ich habe meine Eltern gefragt. Ich habe viele Leute gefragt. Ich habe sehr viel rechechiert und viele Interviews mit den Leuten geführt, die damals mit vielen verschiedenen Dingen zu tun hatte. (…) Ja, ich mag Recherche (lacht).
B. Hirsch: Wann haben Sie beginnen mit dem Filmkomponisten zu arbeiten? Sie hatten einen Filmkomponisten?
A. Jacir: Ja. Bei all meinen Filmen in den letzten 12 Jahren habe ich mit Kamran Rastegar gearbeitet. Wir haben ein Verständnis dafür wie der Andere arbeitet. Schon sehr früh haben wir begonnen die Musik zum Film zusammenzutragen. Während ich noch beim Schreiben des Drehbuches war, damit will ich sagen, der ganze Prozess bis zur Veröffentlichung des Films, das sind dreieinhalb, vier Jahre. Von Anfang an haben wir diese Tracks gesucht und es gibt auch originale Musik. Es ist eine Mischung aus Songs, Soundtrack und originale Musik und dann gibt es noch Musik im Film, die von den Schauspielren gespielt wird.
B. Hirsch: Was machen Sie als nächstes?
A. Jacir (lacht): Ich bin am Arbeiten. Ich entwickle einen neuen Film, aber es ist noch zu früh um darüber zu sprechen (lacht).