Bettina Hirsch: Frau Ann-Kristin Reyels, Ihr Film FORMENTERA läuft in der Rubrik Forum auf der Berlinale in diesem Jahr. Sie sind ein alter bzw. ein junger Hase auf dem Berliner Filmfest. Junger Hase, da 1976 in Leipzig geboren und ein alter Hase, weil Ihr Abschlussfilm der HFF Konrad Wolf Hochschule mit dem Titel JAGDHUNDE, 2007 ebenfalls im Forum zu sehen war. Jetzt der neue Film FORMENTERA, eine Insel im Mittelmeer. Worum geht es?
Ann-Kristin Reyels: Also ich glaube die Hauptfrage, die im Film sicher nicht beantwortet wird, aber die da besprochen wird und mit der sich die Hauptdarsteller um tun, ist im Grunde die Frage: wie will man leben? Wie will man sein Leben, wo will man sein Leben verbringen und mit wem? Ich glaube, das ist so das Hauptthema des Films. Die beiden Hauptfiguren Ben und Nina, gespielt von Thure Lindhardt und Sabine Timoteo, haben ein Kind. Das ist drei Jahre alt und fahren im Grunde nach seit der Geburt des Kindes vor drei Jahren das erste Mal wieder alleine in die Ferien. Sie haben zehn Tage und verbringen diese zehn Tage auf dieser Mittelmeerinseln. Sie müssen da fernab vom Alltag feststellen und, ja, fern ab von Berlin und diesen festen Strukturen in denen man sich dann so befindet und nochmal verstärkt sicherlich durch ein Kind, was halt einfach eine Struktur vorgibt, dass nichts mehr so ist, wie es war. Sie versuchen aber krampfhaft anzuknüpfen an so eine Liebe, die da vorher war und ein Gefühl, was vorher war. Sie müssen feststellen, dass da nicht mehr so wahnsinnig viel ist. Das ist natürlich bitter! Sie sind dazu noch konfrontiert mit einem völlig anderen Lebensentwurf, nämlich mit dem des Hippie Daseins, weil sie auf einer Finca unterkommen. Das sind Freunde von dem Ben. Das ist die Hauptfigur, die männliche Hauptfigur, wo er schon immer seine Kindheit verbracht hat. Das sind ehemalige Aussteiger, die dageblieben sind auf der Insel und, ja, das fand ich den perfekten Gegenentwurf zu dem Leben, was man hier so in Berlin lebt (lächelt).
Bettina Hirsch: Hat der Film mehr mit Ihrem eigenen Leben zu tun als zum Beispiel der erste Film JAGDHUNDE?
Ann-Kristin Reyels: Ja, (lächelt) klar! Einmal lebe ich in Berlin und habe bald zwei Kinder. Natürlich sind es auch Beobachtungen, die ich in meinem Umfeld gemacht habe, wo ich das Gefühl habe, das sind einfach Fragen, die gerade Menschen zwischen 30 und 40 besonders bewegen: wie will man leben und ist es jetzt schon alles?! Dazu glaube ich noch diese Tatsache, dass ich das Gefühl habe, dass manche dann noch glauben, gerade noch so im letzten Moment diesem festen Alltag zu entkommen, das sie das vielleicht auch ein bisschen mit einer Art Freiheit verwechseln. Aber das sind meine Beobachtungen. Andere sehen das vielleicht ganz anders.
Bettina Hirsch: Sie haben zu dem Film gesagt: „Man steckt im Leben fest“ und im Film wird aufgebrochen, Infrage gestellt.
Ann-Kristin Reyels: Infrage gestellt, genau, was ich wichtig finde. Es geht mir ja in dem Film ganz viel um, eigentlich ist es ein Film über Freiheit und Liebe für mich.
Bettina Hirsch: Die Idee zum Film, wann kam die? Warum sind das drei Autorinnen gewesen? Also ganz oft ist es so, dass die Regisseure/Regisseurinnen auch gleichzeitig das Buch mitschreiben. In Ihrem Fall ist das so, dass drei Autorinnen das Buch geschrieben haben (Ann-Kristin Reyels: Genau) und wie kam es zu der Idee?
Ann-Kristin Reyels: Also die Idee, der Film hat ja einer wahnsinnig lange Geschichte. Wir sind eigentlich seit dreieinhalb, vier Jahren schon dabei. Ich schreibe nicht gerne alleine. (...) Die beiden Autoren Katrin Milhahn und Antonia Rothe arbeiten oft im Team. Eigentlich sich da schon zu dritt auseinander zusetzen, halte ich eigentlich eher für bereichernd. Es war auch eine tolle Arbeit, auf jeden Fall! Natürlich sind das eben Fragen, die sie genau so beschäftigen wie mich, aber vielleicht gibt es hier und da andere Sichtweisen und so kam es eigentlich zu der Zusammenarbeit.
Bettina Hirsch: Die Filmmusik, da taucht der Name Henry Reyels auf. Ich nehme mal an, der ist verwandt mit Ihnen?
Ann-Kristin Reyels: Das ist mein Mann (lächelt).
Bettina Hirsch: und der Marco Baumgartner, das sind auch zwei Leute, die Musik gemacht haben. Wie viel Gewicht hat Scoremusik?
Ann-Kristin Reyels: Der Film ist ja ein sehr stiller Film (lächelt). Was jetzt nicht abschreckend wirken soll, aber ich glaube, wenn man Musik verwendet, das auch immer eine große Bedeutung hat. Wenn man aber einen Film so zukleistert mit Musik, ist es für mein Empfinden oft so, werden die Gefühle gelenkt. Oft, ja und ich finde es schwierig. Ich fand, unser Film lebt so von den Atmosphären, die es da auf der Insel gibt: von dem Wind, von den Wellen, von den Möwen und von so was, dass die Musik da, ganz am Ende wird ja ein ganzer Song gespielt, ohne dass man O-Ton hat, dass das viel mehr Gewicht hat und auch der Text natürlich Gewicht hat. Das ist glaube ich eine reine Geschmackssache, aber war immer in meinem Kopf. Wir waren auch immer in der Auseinandersetzung darüber, was das nun genau sein soll, aber es gibt ja auch Film, also Musik im Film,, was da im Radio kommt oder so etwas. Das ist auch alles von den beiden gemacht.
Bettina Hirsch: Es gibt auf jeden Fall diesen Auftritt der Berliner Band Bonaparte. Die Band ist ja das zweite Mal im Film. Die war schon mal im Film 13 SEMESTER zu sehen. Das scheint irgendwie unsere Filmband zu sein in Deutschland (Ann-Kristin Reyels lächelt). Das Konzert dieser Band wird auf dieser Insel Formentera ausführlich gezeigt. Warum so ausführlich?
Ann-Kristin Reyels: Also einmal finde ich die Musik ganz toll. Ich fand, die steht auch so für, also die Nina, unsere weibliche Hauptfigur. Sabine Timoteo kämpft ja wahnsinnig damit sich dort zurecht zu finden. Sie will nicht so eine Spaßbremse sein. Sie will eigentlich auch Spaß haben. Es ist ja eigentlich alles auch ganz toll auf der Insel. Es gibt irgendwie so Sonne und Meer. Trotzdem fühlt sie sich aber unwohl, bedrängt von diesen Hippies, die so wahnsinnig offen sind, bedrängt irgendwie auch von ihrem Mann, der plötzlich so eine andere Frau ganz toll findet, die im Film auch verschwindet, was sie ja auch merkt. Sie ist ja nicht bescheuert, aber sie ist so gefangen in sich, dass sie auch nicht raus treten kann. Ich fand diese Band, die auch so mit Sexualität spielt, die ganze Zeit und man sieht diese wunderschönen Frauen und auch die Männer, die sich die Kleider vom Leib reißen. Das hat so etwas, so etwas ausgeflipptes, was so schön im Gegensatz zu der Nina steht, die irgendwie nicht kann, wo sie ja eigentlich gerne will. Also eigentlich finden ja an so Stränden Raves statt. Ich steh einfach überhaupt nicht auf solche Musik. Das kam halt noch dazu. Bonaparte hat es trotz unseres kleinen Budgets für uns gemacht, zu 13 hinzukommen. Wir haben im Grunde ein Livekonzert gemacht, dort am Strand für die Leute, also die Zuschauer. Die haben alle auch kein Geld bekommen. Wir haben dann live gedreht. Ich finde diese Entfesselung, die da so stattfindet, auch von Ben, im Gegensatz zu Nina, erzählt ganz viel. Es passiert ja auch eine Geschichte, also da wird nicht Gesprochen natürlich, aber man sieht, was da passiert. Das ist die Vorbereitung, dass dann diese Geschichte auf dem Wasser stattfinden kann und das finde ich ...
Bettina Hirsch: Nicht zu viel erzählen, wir dürfen nichts verraten!
Ann-Kristin Reyels: Nee, nee (lacht)
Bettina Hirsch: Sonst ist der Film ja nicht mehr spannend.
Ann-Kristin Reyels: Genau, und ich fand das einfach toll! Ich finde, also das haben wir bei dem Film natürlich auch extrem gemacht, dass man mit Dialogen vieles zureden kann. Ja, ich fand einfach dieses, das ist ja im Grunde eine lange, sehr, sehr lange Szene, also da passiert für mich jetzt, wenn ich das angucke ganz viel und für die Schauspieler, die haben da genau eine Geschichte gebaut, die hier das erzählen wollen und ich finde es toll!
Bettina Hirsch: Wessen Idee war das, Bonaparte zu fragen?
Ann-Kristin Reyels: Meine ( Bettina Hirsch lacht). Ja, genau, ich fand die so toll!
Bettina Hirsch: Ich würde gerne noch etwas zu den Darstellern fragen und zwar, Sabine Timotei spielt die Nina und der Däne Thure Lindhardt spielt den Ben. Der ist ja auch auf der Berlinale hier zu sehen in einem Panoramafilm, KEEP THE LIGHTS ON und der alt ehrwürdige Christian Brückner, die Synchronstimme von Robert De Niro, ist es seine erste Schauspielrolle gewesen?
Ann-Kristin Reyels: Nein, der hat immer kleinere Rollen gemacht. Ich fand es ja so toll, weil ich die Stimme auch so toll finde und ihn so toll finde. Für die Besetzung, also für die Figur, fand ich ihn perfekt.
Bettina Hirsch: Der sagt ja nicht viel, aber auf jeden Fall passt es zu ihm.
Ann-Kristin Reyels: Ja.
Bettina Hirsch: Warum gerade diese Schauspieler?
Ann-Kristin Reyels: Also Thure und Sabine, weil wir ein super Casting hatten zusammen. Sabine Timotei finde ich einfach großartig, Thure Lindhardt auch. Glücklicherweise hatten beide Lust zum Casting zu kommen. Das war wirklich toll die beiden zu sehen, weil mir immer ganz wichtig war, dass man den beiden das Paar glaubt und dass man ihnen gewünscht, dass sie auch eins bleiben. Das ist ja sozusagen, was am Ende stehen soll.
Bettina Hirsch: Nicht zu viel verraten (Ann-Kristin Reyels lacht)!
Ann-Kristin Reyels: Die beiden haben einfach wahnsinnig toll miteinander gespielt (...) Das war echt magisch zwischen den beiden und die waren dann auch die ganze Zeit dabei geblieben, also die ganzen zwei Jahre.
Bettina Hirsch: Zwei Jahre Drehzeit?
Ann-Kristin Reyels: Nein, zwei Jahre, ob der Film gedreht wird oder nicht! Er wurde irgendwie zugesagt und wieder abgesagt und genau dann haben sie es dann gemacht und das hat, das war auch toll beim Drehen.
Bettina Hirsch: Ist das Kleine Fernsehspiel dabei gewesen?
Ann-Kristin Reyels: Genau.
Bettina Hirsch: Das war beim ersten Film auch mit dabei.
Ann-Kristin Reyels: Ja, und jetzt ist noch ARTE dabei. Also eine Koproduktion von ZDF und ARTE.
Bettina Hirsch: Der Film startet im Kino? Sie haben schon einen Verleih? Nein?
Ann-Kristin Reyels: Ich glaube nicht, Nein, kann sein das sich in den letzten Tagen etwas ergeben hat, aber, nein, haben wir glaube ich noch nicht, nein
Bettina Hirsch: Dann habe ich das missverstanden, aber ich meine das im Mai der Film starten soll (Ann-Kristin Reyels: Ah, ja?!) Was wird Ihr nächstes Filmprojekt sein?
Ann-Kristin Reyels: Also ich habe zwei Sachen eigentlich, eine Romanverfilmung von “Der Schwimmer” von Zsuzsa Bank. Da habe ich das Drehbuch geschrieben. Es stellt sich aber heraus, dass es sehr schwierig es zu finanzieren. Das ist eine Geschichte, die in Ungarn spielt. Es geht um zwei Kinder, die von ihrer Mutter verlassen werden und mit dem Vater, also 1956 als in Ungarn dieser große Umbruch auch stattfand und dieser große Ungarnaufstand, während dieser Zeit. Dieser Ungarn Aufstand spielt nur peripher eine Rolle, ist aber ganz wichtig, weil (...) diese drei Menschen rastlos durch Ungarn ziehen. Das ist eine Sommergeschichte und ist eine Beobachtung der großen Schwester des kleinen Bruders. Sie versucht die Mutter zu ersetzen. Es ist eine ganz leise, zarte Geschichte von Zsuzsa Bank. Ein ganz wunderbarer Roman von 2007 glaube ich. Er hat auch einige Preise gewonnen und ist wirklich sehr empfehlenswert.
Bettina Hirsch: Werden es wieder drei Drehbuchautorinnen werden?
Ann-Kristin Reyels: Nein, das mache ich alleine. Also das ist alles für die selbe Produktionsfirma, für Una Film, Titus Kreyenberg. Wir haben uns da gefunden irgendwie und das ist auch einer ganz tolle Zusammenarbeit. Ich glaube, dass wollen wir jetzt auch weitermachen. Die andere Geschichte ist geschrieben von Marcus Busch. Da bin ich am Drehbuch gar nicht beteiligt, ist aber meine Idee gewesen. Es ist eine wahre Geschichte, die ich im BBC gehört habe über eine Frau. Also das ist ein Film über Mutterliebe eigentlich im weitesten Sinne (lächelt).