Stephen Warbeck war im Rahmen des Talent Campus in Berlin. Ausschnitte aus dem folgenden Interview waren in der Sendung am 21.02.2006 zu hören.
Fast auf den Tag genau, am 10. Februar 2016 haben wir mit Stephen Warbeck bei den Grand Scores 2016 gesprochen. Das Interview gibt es hier.
Stefanos Tsarouchas. Wie definieren Sie den Begriff "Filmmusik"? Welche Aufgabe sollte Filmmusik haben?
Stephen Warbeck: Ich meine, dass Filmmusik Elemente des Films aufdecken soll, die ansonsten ohne Musik versteckt bleiben.
S. Tsarouchas: Manchmal verhält sich Filmmusik wie ein Schauspieler. Finden Sie das in Ordnung?
S. Warbeck: Ich finde, dass ist einer der Kommentare, die ich nicht ganz verstehe. Das ist genauso, wenn Leute sagen, dass ist das Thema der Frau . Das ist das Thema vom Mann, und vielleicht kommen sie zusammen. Ich finde, man nimmt manchees zu wörtlich. Ich glaube nicht, dass die Musik so arbeitet.
S. Tsarouchas: Ich meine damit auch, zum Beispiel das die Musik manchmal Angst machen soll, weiss man das gleich etwas passiert.
S. Warbeck: Ja, das stimmt schon. Machmal provoziert die Musik eine bestimmte Erwartung, ein Gefühl oder Richtung.
S. Tsarouchas: ... bei Liebesszenen hört man sehr oft ein Piano. Wenn man Geigen wie von Bernard Herrmann für PSYCHO hört, wird sicher gleich etwas schlimmes passieren.
S. Warbeck: ... ja, das stimmt.
S. Tsarouchas: oder wir hören Gustav Holts "The Planetes" bei damatischen Szenen oder Krieg. Was ist Ihre Meinung dazu?
S. Warbeck: Ich glaube, dass all diese Sachen schon zutreffen. Man hört eine Spieldose, bevor einem Kind etwas Schlimmes passiert. Ich finde einige dieser Clichés sehr charmant und effektiv im Zusammenhang mit ihrem ersten Auftreten. Bernard Herrmanns Musik in Zusammenhang mit Alfred Hitchcock finde ich sehr beeindruckend und wunderbar, ich liebe aber den Fakt, dass jede Generation ihr eigenes Vokabular findet um das gleiche Problem zu lösen. Wenn wir die Musik aus PSYCHO in einem heutigen Film verwenden würden, hätten wir ein Retro-Gefühl, dass die meisten Zuschauer nicht mögen würden. Ich mag es also, dass sich die Filmmusik weiter entwickelt. Ich bin aber auch der Meinung, dass manche Filmmusik sehr konservativ ist. Die Leute trauen sich heute nicht mehr soviel, wie vor 50 Jahren. Die Musik kann also auf der sicheren Seite sein. Wenn man weiss, dass sie beim Untergang der Titanic funktioniert hat, wird sie auch noch in 25 anderen Filmen funktionieren. Ich bin darum der Meinung, das wir als Filmemacher uns provozieren sollten, wenn möglich eine unkonventionelle Lösung zu finden.
S. Tsarouchas: Warum arbeiten Sie nicht als Dirigent?
S. Warbeck: Ich habe so um 1986 herum aufgehört auch meine Musik zu dirigieren. Ich hatte damals ein Erlebnis mit einem Regisseur. Der ist in der Regel bei den Musikaufnahmen im Kontrolraum. Der Dirigent ist im Aufnahmeraum bei den Musikern. Die Kommunikation zwischen Regisseur und Dirigent ist manchmal nicht sehr gut. Der Dirigent, der auch gleichzeitig der Komponist sein kann, rennt also in den Kontrolraum um sich die Aufnahme anzuhören und dann gleich wieder in den Aufnahmeraum. Jedes Gespräch dazwischen ist sehr kurz und wird in Eile geführt, weil sonst Zeit für die Proben und Aufname fehlt.
Es ist etwas völlig anderes, wenn man zusammen mit dem Regisseur im Kontrolraum sitz. Bei den Proben könnte er z.B. sagen: "Ich mag dieses Abschnitt, aber dieser Teil ist einfach zu schwer. Er ist viel zu dicht. Da passiert zuviel." Du schaust es dir an und kannst drei Dinge tun: Du kannst sagen: "Ich mag es so." und deine Argumente vorbringen. Zweitens kannst Du in Panik aus dem Raum stürzen. Oder Du sagst: "Ich stimme Ihnen zu." Du könntest zum Dirigenten sagen: "Einen Moment mal! Wir nehmen die Cellos und Bässe raus. Wir nehmen nur die Violinen, Violas und die Klarinette. Wir spielen es einmal so." Du sitzt neben den Regisseur und er sagt dann: "Ja, aber .." Wenn es zu diesem Punkt kommt, ist die Stelle zu dünn. Man hat also einen ständigen Dialog miteinander und ändert die Sachen. Wenn aber ständig am Hinundherrennen ist, wird es schwierig. Ausserdem muss man als Dirgient auch auf die zwischenmenschlichen Dinge bei seinen Musikern achten. Das nimmt viel Energie weg. Ich mag es sehr mit Musikern zusammen zu sein, aber das nimmt den Blick aufs Wesentliche: Es geht darum Musik für einen Film zu machen. Wenn man zum Beispiel nicht lacht, wenn Derrick der Violaspieler einen Witz erzählt, fühlt er sich vielleicht aussen vor usw. Man muss die Objektivität und die Sichtweise eines Komponisten behalten.
Darum dirigiere ich nicht mehr selbst.
S. Tsarouchas: Was für einen Typ von Regisseur ziehen Sie vor? Jemanden, der sehr viel von Musik versteht, vielleicht Musiker ist und seinen Wunschscore mit musikalischen Begriffen erklärt? Oder jemanden, der die Musik in Gefühlen beschreibt? Oder einen Regisseur, der gar keine Ahnung hat und sich völlig auf Sie verläßt?
S. Warbeck: Mir ist eigentlich jeder Typ gleich, solange man sich offen unterhält. Ich mag jemanden, der mir seine Gefühle beschreibt und welche Gefühle die Musik ausdrücken soll. Ob die Musik leicht oder schwer sein soll, hell oder dunkel. Mir geällt es, wenn die Menschen etwas beschreiben, dass mich zum Nachdenken bringt. Ich habe auch nichts gegen einen Regisseur, der sagt: "Hier ist mein Film. Was ist Ihre musikalische Reaktion?" Wichtig ist nur, dass sie meine musikalische Reaktion hören und ein echter Dialog beginnt. Sie hören mit offenen Ohren zu und sagen: "Ich verstehe es, aber können wir vielleicht das machen." Miteinander Reden ist sehr wichtig. Es ist sehr schwerig, wenn sie nach dem ersten Mal mit Schweigen reagieren oder einfach nur sagen: "Ich mag es nicht." Wenn sie aber sagen: "Ich mag es nicht, weil es zu dunkel ist." Oder "Es wird nur die Gefahr ausgedrückt, aber wir wollen die Hoffnung in den Vordergrund stellen." Das ist etwas anderes. Von diesem Punkt an kann man ausgehen. Wenn man als Komponist zum ersten Mal die Tür zu seinen Ideen öffnet, ist es ohne Zweifel ein wichtiger Moment für den Regisseur. Er muss aber daran Denken zu reden und darf nicht als Erstes die Tür wieder zuknallen.
S. Tsarouchas: Haben Sie schon mal Ihre Musik recycelt, wenn sie in einem Film nicht verwendet wurde und sie der Meinung waren, die Musik verdient es gehört zu werden?
S. Warbeck: Nein, das habe ich noch nie getan. Ich bin ehrlich gesagt ein sehr chaotischer Mensch. Ich würde die Musik einfach nicht wiederfinden. Es wäre für mich einfacher neue zuschreiben, anstatt mich durch Papierberge zu wühlen. Ich kenne vielleicht den Ton von dem Film, aber es würde sicher drei Tage dauern mich durch die Papierberge zu wühlen. In der Zeit hätte ich schon ein neues Musikstück geschrieben.
S. Tsarouchas: Was hat sich für Sie nach dem Oscar für SHAKESPEARE IN LOVE geändert?
S. Warbeck: Für einen Moment änderte sich viel. Danach setzte sich aber wieder alles. Für eine Weile wurden mir Projekte angeboten, die nicht besonders waren. Ich weiss nicht, es fühlt sich nicht so an, als ob sich viel geändert hat. Vielleicht führt ein Oscar dazu, dass einem die Leute jeden Blödsinn für bare Münze abnehmen (lacht). Ich hoffe, es hat sich nichts geändert.
S. Tsarouchas: Sie haben eine Zeitlang für's Fernsehen gearbeitet. Jetzt nicht mehr, warum?
S. Warbeck: Ich mag es nicht so sehr. Ich schaue mir kein Fernsehen an, weil ich denke, das ich dafür keine Zeit habe. Ich kenn das Fernsehgeschehen nicht so gut. Ausserdem ist Fernsehen immer noch ein sehr eingeschränktes akkustisches Erlebnis, tritz der Home Cinema Systeme. Die meisten Menschen hören die Musik in Filmen immer noch aus einem Stereo-Fernseher. Das finde ich zu eingeschränkt. Obwohl ich für's Fernsehen gearbeitet habe und da eine wunderbare Zeit hatte, vermisse ich es nicht. Ich ziehe es vor für Kino und Theater zu arbeiten.
S. Tsarouchas: Wir sind hier beim Talent Campus. Was halten Sie davon und von den Angeboten für zukünftige Komponisten?
S. Warbeck: Ich bin der Meinung, dass der Talent Campus ein sehr, sehr wichtiger Beitrag für das Kino ist. Ein Grund ist, dass daduch Menschen zusammenkommen, die sich sonst nie getroffen hätten. Und es geht auch wieder um Dialog, Dialog zwischen verschiedenen Menschen, die sich Sachen sagen, die einen vielleicht zum Nachdenken bringen. Einige der Dinge, die heute z.B. zu mir gesagt wurden, bringen mich zum Nachdenken. Ich hoffe, dass passiert mit allen möglichen Leuten hier. Sie gehen mit einem Kopf voller Ideen weg. 9 von 10 Ideen werden vielleicht wieder verworfen, aber das ist eine kleine Idee im Kopf , die einen nicht losläßt und man denkt: "Das hört sich für mich richtig an. Das hat mir geholfen."
© 2006 by Stefanos Tsarouchas. Das Interview unterliegt der Creative Commons Licence.