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- Geschrieben von: Stefanos Tsarouchas
Die Fondation SUISA hat Ende Januar 2015 die Schweizer Filmmusik Anthologie 1923 - 2012 veröffentlicht.
Mathias Spohr ist der Kurator und der Herausgeber.
Ausschnitte aus dem Interview und Musik aus der Anthologie gab es in der Sendung am 29. März 2015 zu hören.
Stefanos Tsarouchas: Wie kommen Sie als Österreicher zu einer Schweizer Filmmusik Anthologie?
Mathias Spohr: Ich bin kein Österreicher. Ich bin nur in Österreich geboren. Sie haben den Wikipedia-Artikel gelesen.
S. Tsarouchas: Genau.
M. Spohr: Das stimmt nicht. Ich bin ursprünglich Deutscher. Meine Eltern sind Deutsche. Ich bin auch in der Schweiz aufgewachsen und habe häufig beruflich in Österreich zu tun. Ich kenn die Szene in der Schweiz recht gut, da ich dort aufgewachsen bin und da auch meine hauptsächlichen Kontakte habe.
S. Tsarouchas: Wie sind Sie für die Anthologie angesprochen worden?
M. Spohr: Ich bin von der SUISA Stiftung angesprochen worden, ob ich Interesse habe und das machen möchte. Ich habe bei der vorherigen Anthologie, da ging es um Musik, die im Radio gespielt wurde, mitgearbeitet. Es gab mal Orchestermusik, die immer im Radio gespielt und von eigenen Orchestern der verschiedenen Radioanstalten aufgenommen wurde. Jetzt gibt es das nicht mehr. Dazu gab es eine Anthologie, bei der ich mitgewirkt habe. So hat man mich gefragt, ob ich mir diese Aufgabe zutraue.
S. Tsarouchas: Was ist die SUISA?
M. Spohr: Die SUISA ist die Urheberrechtsgesellschaft. Sie entspricht der deutschen Gema, für musikalische Rechte.
S. Tsarouchas: Und die Stiftung?
M. Spohr: Die Stiftung fördert, unterstützt Schweizer Musik mit einem Anteil von 2,5% der Einnahmen der SUISA.
S. Tsaoruchas: Am Anfang waren für mich die verschiedenen Sprachfassungen im Buch und bei den Infos zu den Stücken auf den CDs etwas verwirrend. Warum hat man sich nicht für eine bestimmte Sprachfassung entschieden oder vielleicht zwei herausgebracht, Französisch und Deutsch?
M. Spohr: Das ist eine Schweizer Eigenart. Man versucht mehrsprachig zu sein. So bald man sich für eine dieser Sprachen entscheidet, das wäre vielleicht Englisch gewesen, vielleicht Französisch, vielleicht Deutsch, dann fühlen sich die Anderen natürlich zu wenig berücksichtigt. Man lebt in der Schweiz ja mit diesen mehrsprachigen Texten. Auf jedem Produkt, das man kaufen kann, ist alles drei- oder viersprachig abgedruckt. Wir wollten es belassen und nicht provozieren, in dem wir uns jetzt auf eine Sprache beschränken.
S. Tsarouchas: Hatten Sie Einfluss auf die Auswahl der Artikel im Buch?
M. Spohr: Ja, ich habe die Artikel zusammengestellt. Ein Teil sind ja hauptsächlich Quellentexte von Filmkomponisten seit den 1920er Jahren, die die Geschichte der praktischen Filmmusik zeigen, auch die der live gespielten Musik zu Filmen, die sonst wegfallen würde. Auf den Tonträgern haben wir selbstverständlich nur die aufgezeichnete Musik und nicht die live gespielte, die immer eine Rolle gespielt hat. Zur Zeit des Stummfilms gab es nichts anderes, aber von der Tonfilmgeschichte an, von den 1930er Jahren wurde natürlich auch nach wie vor live zu Filmen musiziert. Heute hat das einen großen Aufwind, deswegen versuchen wir mit Texten im Buch auch diese Live-Musik zu berücksichtigen, die auf den Tonträgern nicht vorhanden ist. Das war ein wesentliches Kriterium. Dann haben wir wissenschaftliche Aufsätze über verschiedene Gebiete der Filmmusik und historisch wichtige Ereignisse, die für die Filmmusik eine Rolle gespielt haben, wie die Landesausstellung 1964, die für die Schweizer Filmmusik prägend war. Wir mussten natürlich nehmen, was es gab und von Autoren, Komponisten, Wissenschaftlern, die bereit waren und die das Material für ein solchen Text hatten. Es ist eine Auswahl, aber sie deckt eigentlich einiges ab. Ich glaube, wenn sich jemand interessiert wie zum Beispiel ein Student, der kann sich da einige Anregungen holen, wenn er seine Diplomarbeit, Masterarbeit oder Doktor zu dem Gebiet machen möchte.
S. Tsarouchas: Am Interessantesten waren für mich die Berichte einer Frau, die bei Stummfilmen mitmusiziert hat. Es gibt es so gut wie keine Aufzeichnungen darüber. Ich habe zum ersten Mal etwas zu diesem Thema gelesen.
M. Spohr: Ja, das ist die Mutter des Komponisten Bruno Spoerri, der sehr wichtig für die Schweizer Filmmusikgeschichte ist. Das ist so etwas wie eine Dynastie, die sich mit Filmmusik beschäftigt hat und beschäftigt. Ich fand es auch sehr interessant. Ich bin sehr glücklich darüber, dass wir ihn gewonnen haben und dass er bereit war, etwas aus dieser Familiengeschichte zu schreiben und gerade zu einem Gebiet, das so wenig erforscht ist.
S. Tsarouchas: Sie haben auch einen Artikel für das Begleitbuch der Anthologie geschrieben.
M. Spohr: Ja. An der Schweizer Filmmusik interessiert mich besonders, dass sie eine Verbindung zwischen ganz unterschiedlichen Kulturen und Sprachgebieten herstellt. Es gibt ja den deutschsprachigen, den französischsprachigen und den italienischsprachigen Teil der Schweiz. In einem Teil wird als Landessprache auch rätoromanisch gesprochen. Das ist eine Verbindung ganz unterschiedlicher Kulturen. Die Menschen, die da aufwachsen, spüren natürlich einen Wohlstand, auf der anderen Seite auch eine gewisse Enge, die sie hinaus treibt, ins Ausland, das die gleiche Sprache spricht. So hat man eigentlich eine Kulturszene, die kleinräumig ist. Auf der anderen Seite ist sie auch sehr international und hat weltweite Verbindungen. Man hat einerseits eine Nischenkultur, also es wird nicht so viel aufgesogen von großen Zentren wie Berlin, Paris oder Rom. Es kann sich auf kleinem Raum einiges halten. Auf der anderen Seite orientiert es sich immer ins Ausland. Wenige können dann wirklich in der Schweiz bleiben um von ihrem Beruf Leben zu können. Mir geht es auch so. Man sammelt Erfahrungen im Ausland. Viele kommen aber immer wieder in die Schweiz zurück. Das gibt eine Stimmung, die ich interessant finde.
S. Tsarouchas: Sie haben eben Leute angesprochen, die ins Ausland gehen. Von den Komponisten, die auf der dritten CD mit Stücken vertreten sind, sind einige auch hier in Deutschland bekannt. Das sind Niki Reiser, Fabian Römer und Christine Aufderhaar. Wie wichtig ist es die Schweiz auch als Filmmusikland ein bisschen bekannter zu machen?
M. Spohr: Es gibt natürlich die Komponisten, die Sie genannt haben. Sie haben auch für schweizer Filme und vor allem für schweizer Fernsehproduktionen Musik gemacht bzw. machen es immer noch. Sie haben nach wie vor Verbindung zur Schweiz. Der Markt für Filmmusik in der Schweiz ist natürlich klein. Wenn jemand jetzt hauptberuflich Filmmusik machen möchte, dann genügt das Auftragsvolumen einfach nicht.
S. Tsarouchas: Nach welchen Kriterien wurden die Musikstücke ausgewählt?
S. Tsarouchas: Wie schwierig war es die Musik für die Tracks zu bekommen? Ich stelle mir das zum Teil so vor wie vielleicht in der ehemaligen DDR oder der Bundesrepublik, wo vieles möglicherweise verschollen ist oder beim Komponisten irgendwo als Tonband im Keller liegt.
M. Spohr: Das war in einigen Fällen ein Problem. Es war auch bei vielen älteren Beispielen, die jetzt nur als Lichtton auf zerkratzen Filmkopien erhalten sind, ein Problem, eine Qualität hinzubekommen, die man einigermaßen hören kann, ohne jetzt auch das Bild vor sich zu haben. Es war einige Arbeit in diesen Beispielen in Archiven zu suchen und eine einigermaßen hörbare Kopie zu finden. Diese Beispiele wurden dann auch von einem Sounddesigner und Filmtontechniker aufbereitet. Der hat das, glaube ich, recht gut gemacht, so das man das was drauf ist, was noch erhalten ist, auch wirklich hören kann.
S. Tsarouchas: Fühlen sich ältere Filmkomponisten geehrt, dass sie mit einem Track auf den CDs vertreten sind?
M. Spohr: Ja schon, es ist natürlich ganz verschieden. Die jüngeren Filmkomponisten möchten am liebsten mit der Musik, die sie gerade schreiben, vertreten sein und nicht mit etwas, was sie vor 10 Jahren gemacht haben. Bei den älteren Komponisten ist es genau umgekehrt. Sie blicken eher zurück und möchten das, was vor 30 Jahren und damals gut angekommen ist, vertreten haben. Da muss man natürlich irgendwie einen Kompromiss finden. Im Allgemeinen waren die meisten sehr interessiert und fühlten sich auch geehrt mitzumachen. Sie haben auch sehr viel Hilfe geboten und auch ihre eigenen Filmmusiken selber kommentiert. Wir hatten auch große Unterstützung von den Produktionsfirmen, die eigentlichen nur ganz selten Probleme gemacht haben. Es gab insgesamt eigentlich eine großen Konsens, dass man etwas für Filmmusik tun muss. Man fand es gut, dass eine Publikation im Gang war. Dem wollten nur ganz wenige Steine in den Weg legen. Die meisten haben das sehr unterstützt und mitgeholfen, sonst wäre es gar nicht möglich gewesen dieses Projekt durchzuführen. Es haben sich also Hunderte sehr bemüht mitzuhelfen und das zustande zu bringen.
S. Tsarouchas: Für mich sind die drei CDs auch eine musikalische Zeitreise, was den Musikgeschmack /-einfluß über die Jahre angeht, ob es jetzt 1950er oder 1960er Jahre Schlager angeht oder Synthesizermusik angeht. Spielte das im Hintergrund auch eine Rolle?
(* Informationen zu den erwähnten Instrumenten im Wikipedia: Russolophon, Ondes Martenot, Trautonium)
S. Tsarouchas: Welche Auswirkungen hat die Anthologie jetzt auf die Wahrnehmung der Schweizer Filmmusik im Land? Gibt es mehr Konzerte? Gibt es vielleicht Veröffentlichungen von alten Filmmusiken?
M. Spohr: Das würde ich mir sehr wünschen. Es ist wahrscheinlich noch zu früh um das Abschätzen zu können, aber wenn das ein Effekt wäre, dann wäre es ungefähr das, was wir mit dieser Publikation beabsichtigten.
S. Tsarouchas: Wie viel Material hatten Sie insgesamt für die CDs? Ist vieles übrig geblieben? Hätte man auch sechs CDs veröffentlichen können?
M. Spohr: Wir hätten auch 60 oder 600 CDs veröffentlichen können. Es gibt sehr viel Material. Es war natürlich ein großes Problem dieses viele Material zu reduzieren. Vieles ist natürlich auch Geschmackssache. Wir haben uns bemüht, jedes Sprachgebiet zu berücksichtigen, jede Generation von Filmkomponisten, dass jedes Filmgenre irgendwie vorkommt. Nach solchen Kriterien haben wir versucht auszugleichen
S. Tsaoruchas: Sie schreiben in Ihrem Artikel auch über die Entwicklung der Filmmusik in der Schweiz. Wie wird Filmmusik generell in der Zukunft verlaufen? Viele junge Leute schauen sich jetzt Filme oder Videos über das Internet an. Lohnt sich jetzt noch eine in Anführungszeichen „aufwendige“ Filmmusik?
M. Spohr: Ja, das ist eine schwierige Frage. Natürlich ist der Medienwandel ganz entscheidend, auch für Filmmusik und das war schon immer so. Das ist schon seit den 1920er Jahren so. Das Radio, der Tonfilm, das Fernsehen, die Videotechnik, all das hat große Veränderungen, Umwälzungen produziert und natürlich auch die Digitalisierung der Klänge, dass man ganze Orchesterklänge nur mit dem Computer machen kann. Das hat enorm viel verändert und ich denke, so wird es weiter gehen. Auch die Entwicklung im Internet wird die Filmmusik ganz stark beeinflussen.
Was die Zukunft betrifft? Was sich vielleicht nicht verändern wird, ist, dass die meisten Filmmusikomponisten auf sich allein gestellt sind. Das war schon immer so und das auch die Erwartung besteht, dass sie etwas in ihrem eigenen Studio mit ihren eigenen Geräten alleine über Nacht machen können. So ist es nach wie vor bei sehr vielen Produktionen. Es ist eine ausgesprochene Luxussituation, dass man ein großes Orchester zur Verfügung und damit auch noch Proben hat. Das verwirklicht sich in ganz wenigen Fällen. Ich denke, die Normalsituation ist, dass mit sehr bescheidenen Mitteln, sehr viel Improvisationstalent und ganz kurzer Zeit etwas gemacht wird. Ich denke, dass hat sich nicht verändert. Es wird sich in Zukunft auch nicht verändern, auch nicht mit neuen Medien.
S. Tsarouchas: Wenn ich mich recht erinnere, gibt es auf der Anthologie, ein oder zwei Tracks mit Imagemusik. Es gibt aber keine Musik aus Videogames, die jetzt immer mehr im Kommen ist.
M. Spohr: Ja, das stimmt. Das gibt es nicht. Das ist ein Gebiert, das auch die SUISA-Stiftung getrennt behandelt, denn es gibt auch einen getrennten Preis für Videogamesmusik. Ob es mal eine Anthologie geben wirdt, ob das geplant ist, weiss ich nicht, aber sie wurde in diesem Fall nicht berücksichtigt.
S. Tsarouchas: Gab es vielleicht Überlegungen Musik, wenn sie mit Dialog direkt vom Film übernommen wurde, zu rekonstruieren und neu einzuspielen?